Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Neben seinen beiden bisher erschienenen Romanen (siehe Autorenübersicht) ist Jürgen Müller ein ergiebiger Schreiber von Kurzgeschichten. Da bietet es sich natürlich an, eine Sammlung derselbigen in einem Band auf den Markt zu bringen.
Kurzgeschichten sind eine Klasse für sich. Die Kunst, nicht lange um den heissen Brei herumzureden und auf den Punkt zu kommen, ist nicht jedem Autor gegeben. Ein Grund wahrscheinlich warum Stephen Kings Kurzgeschichten niemand liest... Viele Fans und semiprofessionelle Autoren versuchen sich zuerst auf dem Feld der kurzen Story, vergessen jedoch, dass hier der Plot einen weitaus höheren Rang einnimmt, als in einem Roman, wo man den Platz hat, Hintergründe und Charaktere langsam zu entwickeln (vorausgesetzt, der Leser schläft vorher nicht ein). In einer Kurzgeschichte muss der Plot auf Anhieb sitzen, die Charaktere auf Anhieb funktionieren. Wie man auch hier auf dieser Seite immer wieder lesen kann, sind Jürgen Müllers Geschichten keine Schnellschüsse aus der l?ckeren Hüfte, die dann an der nächsten Tresentür abprallen - er liefert hintergründiges, auch wenn das AHA-Erlebnis manchmal erst auf dem zweiten Blick entsteht, lustiges und skuriles. Ein Markenzeichen der Kurzgeschichten Müllers ist, das die Charaktere oft dazu gebracht werden, ihre Handlung, ihr Denken auf Linie A festzulegen, um dann von der quer kreuzenden Linie B überrascht und überrollt zu werden. Müllers Charaktere werden von den Umständen, von sich selber oder von ihrer Umgebung hereingelegt und urplötzlich mit einer ganz anderen Situation konfrontiert. Das das nicht immer gut für die jeweiligen Figuren ist, das versteht sich von selbst.
Bei einer Kurzgeschichtensammlung ist es immer schwierig, auf den konkreten Inhalt einzugehen. Welche Geschichte nimmt man heraus, welche lässt man weg. Hier entscheidet allein der Geschmack des Rezensenten und seine Tendenz, das Buch positiv oder negativ darzustellen. Nicht jede Kurzgeschichte hat mir in diesem Buch gefallen. Wie auch? Bei insgesamt 37 Storys unterschiedlicher Länge muss es zwangsläufig auch solche geben, die entweder mir einfach von der Idee nicht gefallen - oder ich einfach Jürgen Müllers Gedankengänge nicht ganz verstanden habe. Wer In den Tiefen des Raum gelesen hat, weiss wovon ich spreche. So picke ich nur einige Geschichten heraus, die mich entsprechend bewegt haben.
Einer meiner Favoriten ist "N-Kollisionen". Eine Raumpflegerin, die klüger als ihr Beruf vermuten lässt, macht sich im Büro eines Physikprofessors Gedanken um den Aufbau unserer Welt, des Universums. Begeistert von ihrer neuen Theorie, die durchaus einleuchtend erscheint, erzählt sie diese dem Wissenschaftler, der sich aber mehr oder weniger von der äusseren Erscheinung der Putzfrau täuschen lässt und ihr Gerede als purer Unsinn abtut. Das ihm hier ein möglicher Nobelpreis durch die Lappen geht, merkt er nicht. Und so scheitert die Putzfrau an ihrer Situation und ihrem Status - gleich welch genialen Gedankengänge sie von sich gibt.
Scheitern ist auch das Grundthema von "Selbst ist der Mann", in der ein Erfinder eine kleine, handliche und auch funktionierende Zeitmaschine baut - und nicht nur im Patentamt an der Ignoranz des Bürokraten scheitert. Auch seine weiteren Versuche, die Maschine praktisch vom "Mann von der Strasse" testen zu lassen, schlagen aufgrund von Unverständnis, Naivität und völliger Dummheit grundsätzlich fehl. Das der gute Mann dann auch noch selbst in die Falle tappt und sich in einem wiederkehrendem Zeitparadoxon wiederfindet, steigert sein Versagen noch.
Knapp hinter "N-Kollisionen" rangiert auf meiner persönlichen Skala die Geschichte "Schreib-Maschinen", mit der der Kurzgeschichten-Band eingeleitet wird. Ein Autor kämpft einen verzweifelten Kampf gegen die mittlerweile etablierten "SchreibMaschinen"; Robotern und Computer, die innerhalb kurzer Zeit einen kompletten Roman erstellen und massentauglich auf den Buchmarkt werfen. Als der Autor einen hohen Literaturpreis für sein Werk bekommt, gerät er in die Fänge einer obskuren Firma, die ihn auch nach kurzer Zeit zu einem Gefangenen macht. Wie er schnell herausfindet, muss er für die nächsten Jahre als "Schreib-Maschine" fungieren und wirft so ein Licht auf die mechanische und eletronische Erstellung von Geschichten und Romanen.
Zu guter Letzt möchte ich noch "Applaus! Applaus!" erwähnen, welche in eine ähnliche Richtung geht. Die Arbeit ist abgeschafft; der weitaus länger als heute ?ebende Mensch kann sich in einer Häfte des Lebens vollends der Kunst und seinen Hobbies frönen. Immer gibt es Menschen, die ihn bewundern und ihm zuhören. Bis eines Tages die Zeit erreicht ist, an dem man für die Menschheit einen Beitrag leisten muss - und so findet sich die Hauptperson in einer Lage wieder, mit der er überhaupt nicht gerechnet hat.
Insgesamt bietet Jürgen Müller mit seinem Kurzgeschichtenband abwechlungsreiche und interessante Unterhaltung auf hohem Niveau, oftmals besser als das, was anderso gebunden auf den Markt geworfen wird. Das Buch kann man sich beim Autor direkt bestellen, auch wenn mir dieser Hinweis jetzt sicher als Werbung ausgelegt wird. Aber warum nicht, wenns gefallen hat? Das hat es nämlich. Punktum.
Meine Bewertung: 9 von 10 Punkten