Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Veith |
„Die Flamme erlischt“ ist der Debütroman von George R. R. Martin. Das heißt jedoch nicht, dass Martin bei der Veröffentlichung ein Unbekannter war. Er hatte sich bereits durch eine Reihe von Kurzgeschichten einen Namen gemacht und mit „A Song for Lya“ den „Hugo“ gewonnen. Um es vorwegzunehmen: „Die Flamme erlischt“ ist ein Buch, für welches die Rezension wirklich Spaß gemacht hat. Ein Buch, das für mich etwas Besonderes ist. Ein Buch, über das es einiges zu erzählen gibt.
Dirk t’Larien hat die Trennung von seiner großen Liebe Gwen nie richtig überwunden. Zwar hat er schon viele Jahre keinen Kontakt mehr zu ihr, trotzdem herrscht in seinem Leben immer noch eine große Leere. So richtig wird dies Dirk erst bewusst, als ihn ein Hilferuf von Gwen ereilt. Damals, als sie noch ein Paar waren, hatten sich die beiden geschworen, füreinander da zu sein, wenn der eine den anderen ruft. Sofort reist Dirk zu ihr nach Worlon, einem sterbenden Planeten der Außenwelten. Einst gab es hier über Jahre ein großes Festival, bei dem die unterschiedlichsten Völker der Außenwelt-Planeten zusammentrafen. Jedes Volk hatte seine eigene Stadt gebaut und damit ein Denkmal ihrer Kultur gesetzt. Die Zeiten des ausgelassenen Festivals liegen jedoch weit zurück. Der Planet verlässt sein Sonnensystem und eine Eiszeit droht. Fast alle Besucher sind bereits abgereist und haben Geisterstädte hinterlassen. Vor dieser Kulisse trifft Dirk Gwen wieder und kann zunächst weder ihre noch seine Gefühle richtig einordnen. Gwen hat sich ein neues Leben aufgebaut und lebt in einer eigenartigen Dreiecksbeziehung mit Vikary und Janacek, zwei kriegerischen und stolzen Kavalanern. Dirk lernt Worlon, die verschiedenen Kulturen, die verbliebenen Menschen und insbesondere die Kavalaner kennen. Schnell wird ihm klar, dass er Gwen von den barbarischen Sitten und Bräuchen der Kavalaner befreien muss. Er schreitet zur Tat und löst mit seinem Befreiungsversuch eine gnadenlose Hetzjagd aus. Doch wer ist der Täter und wer ist das Opfer? Wer sind die wirklichen Barbaren? Die Kavalaner oder diejenigen, die eine andere Kultur nicht tolerieren können?
Dirk ist ein unentschlossener Held, der immer wieder ins Wanken gerät, je nachdem, mit wem er zuletzt gesprochen hat. Die anderen Protagonisten haben ein schärferes Profil und sind gefestigt in ihren Ansichten. Irgendwie macht dies Dirk jedoch auch sympathisch: Er ist kein Superheld, der überlegen allen Gefahren trotzt. Dirk ist oftmals verunsichert und zweifelnd, ohne gleich ein naiver Tolpatsch zu sein. In der 2. Hälfte des Buches gelingt es ihm, das ein oder andere Mal über sich hinauszuwachsen. Hier beginnt der etwas aktionsreichere Teil. Besteht die erste Hälfte des Romans beinahe nur aus Dialogen und Beschreibungen der verschiedenen Kulturen, so dominiert in der 2. Hälfte Aktion mit Köpfchen: Es wird nicht kurz entschlossen gehandelt, vielmehr wird immer wieder der geeignete Kompromiss aus Chance und Risiko gesucht. Die Wahl fällt nicht immer leicht, wobei die resultierenden Finten glücklicherweise allesamt plausibel und nachvollziehbar sind. An keiner Stelle gibt es ein Wunder aus dem Nichts.
Der Leser wird weniger durch die Aktion als durch die emotionale Dichte immer mehr in das Geschehen hineingezogen. Es gibt zwar nur eine Handvoll Protagonisten, diese sind jedoch aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten und Einstellungen äußerst interessant. Profil gewinnen die Akteure weniger durch ihre Geschichten oder ihre Herkunft, sondern nach und nach durch ihre Handlungen und Dialoge. So ist die Ausgestaltung der Persönlichkeiten verglichen mit Martins späteren Werken zwar etwas dünner, verglichen mit den Werken anderer Autoren allerdings immer noch deutlich überdurchschnittlich. Es ist das Problem Martins eigener Messlatte, die dieser sich durch seine späteren Werke setzen sollte. Was allerdings die BEZIEHUNGEN der Protagonisten zueinander angeht, so ist hier überdeutlich die Martinsche Handschrift zu erkennen: Komplex, intelligent, gefühlvoll und ergreifend brodelt und zerrt es dramatisch in dieser nunmehr zu einer Viererbeziehung gewachsenen Konstellation. Die Motive der Akteure sind nachvollziehbar und menschlich. Irgendwie ist der Leser beinahe verzweifelt. Kann er doch jeden der Akteure gut verstehen und wünscht sich eine Lösung, mit der alle Beteiligten glücklich werden könnten. Martin präsentiert beinahe brutal offen nachvollziehbare und gänzlich unkitschige Gefühlswelten, so mancher wird einen Teil seiner selbst in dem Roman wieder erkennen.
Bei einer flüchtigen Betrachtung scheint es zunächst so, als wenn im 1. Drittel nicht viel geschähe. Der wachsame Leser wird jedoch durch die melancholischen Schönheit gefesselt, verzaubert und zum Nachdenken bewegt. Insbesondere über das Thema Toleranz. Auch wenn diese Eigenschaft wohl die meisten für sich reklamieren, so ist dieses Werk doch ein guter Selbsttest, die eigene Fähigkeit zur Toleranz zu hinterfragen. Die Geschichte hätte ebenso völlig ohne SF Elemente auf unserer Welt angesiedelt sein können. Wie würden wir selber in diesem Falle handeln?
Martins Kunst ist es, stets die richtigen Worte zu finden: Er ist in der Lage, in nur 2 Seiten ein Gefühl für eine fremdartige Kultur zu vermitteln. Beachtlich! Er hat es nicht nötig über unzählige Seiten Details aufzuzählen. Beinahe magisch kann Martin mit wenigen Worten ein Kino im Kopf entstehen lassen. Er verwendet Metaphern, die pointiert sind ohne überzogen zu wirken („Der Drink schickte eisige Finger in seine Brust und Dirk fühlte, wie sich seine Müdigkeit legte“).
Kaum zu glauben: Das Buch hat nur 290 Seiten! Die Dichte und Tiefe, die damit erreicht wird, ist erstaunlich. Martin überlegt sich jedes Detail genau, das er in seinem Roman verwendet. Scheinbare Nebensächlichkeiten, die man für zunächst für Füllstoff hält, ergeben einen Sinn und hinterlassen den Eindruck eines reifen geschlossenen Werks. Irgendwie schafft es Martin, auch augenscheinlich langweilige Dinge interessant zu beschreiben und ihnen Leben einzuhauchen und den Leser stets neugierig zu halten.
„Die Flamme erlischt“ ist kein epischer Meilenstein, dafür enthält es zuwenig neue Ideen und wegweisende Konzepte. Dafür ist jedoch die Umsetzung so überzeugend, dass es mir schwer fällt, objektiv zu bleiben. Martin kann einfach Geschichten erzählen und bietet uns dafür eine versteckte kleine romantische Perle die schnell den Platz im Herzen des Lesers findet. „Die Flamme erlischt“ ist ein Buch für alle, die sich gerne verzaubern lassen.
9 von 10 Punkten
Die Flamme erlischt - Rezension von Rupert Schwarz