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Serie: VILM, Band 2 Eine Besprechung / Rezension von Klaus Middendorf |
Karsten Kruschel, 1959 als Kind des Schriftstellers Heinz Kruschel in Magdeburg geboren, seit 1984 (sic!) umtriebiger Insider der SF–Szene (gleichwohl er schon seit seiner Kindheit Prosa schreibt und bereits 1979 seine ersten SF–Erzählungen in der Zeitschrift Neues Leben veröffentlichte), hat nach Vilm. Der Regenplanet mit Vilm. Die Eingeborenen den zweiten und vorläufig letzten Band eines Romanwerks vorgelegt, das 2010 den ersten Platz des vom science fiction club deutschland ausgelobten Deutschen Science Fiction Preises gewann. Immerhin sieben Plätze vor Frank Schätzings Bestseller Limit, was vermuten lässt, dass hier die Hardliner der Szene unter sich sind.
Besuchen Sie den Regenplaneten, auf dem sich eine einzigartige primitive Zivilisation entwickelt! Besuchen Sie den Regenplaneten, auf dem es Regenanbeter gibt und süße kleine Kinder kaltblütig Tiere umbringen, als wäre es ihre höchste Pflicht! Spüren Sie das Erschauern vor dem Fremden in Menschengestalt! Kaufen Sie die erstaunliche Reportage von Kevin! Die größte Sensation seit den wiederentdeckten Aufnahmen von den Oktogon-Kriegen und den verbotenen karnesischen Bändern! (…) Erst einmal muss ich hier wegkommen und die Artikel schreiben, dachte Kevin. Mit einem wird es nicht getan sein, das muss man langsam ankochen, da steckt Potenzial drin. Mit kleinen Rätseln anfangen und Stück für Stück dicker auftragen.
Diesem Ratschlag seines Reporters Kevin folgt der Autor, auch wenn das dicke Auftragen glücklicherweise nicht seine Sache ist. Geschickt rührt er den Stoffbrei in der Laterne, einer Kneipe des Heimatplaneten Atibon Legba, an, wo wir am Stammtisch von vier Weltraumschiffkapitänen von dem gestrandeten Weltenkreuzer Vilm van der Oosterbrijk erfahren, der dem unwirtlichen, von monströsen Pflanzen umwucherten Gastplaneten seinen Namen gab: Vilm, der Regenplanet.
Christoff Masurat, von der Steinstrahlung betroffener, legendärer Lotse der Armorica, hat es sich zur finalen Lebensaufgabe gesetzt, die Überlebenden der Vilm van der Oosterbrijk zu finden und zu retten. (Das ist überhaupt eine der stärksten, ja erschütterndsten Szenen des Romans, als Tullama, der Kapitän des Weltenkreuzers Armorica, Eliza Simms, die einarmige Zentralierin – als Zentralier bezeichnet man die Bewohner des zentralen „Menschenplaneten“ Atibon Legba – mit dem zur Silikat–Statue versteinerten Christoff Masurat bekannt macht.)
Nach der Landung stellt die Besatzung der Armorica fest, dass von der Vilm van der Oosterbrijk nur noch ein riesiges Trümmerfeld übrig geblieben ist, zerfressen von einem Pflanzenmoloch. Die Tiere zeigen sich nicht weniger aggressiv und pflegen sich mit ihrer Beute blitzschnell in den uferlosen Schlamm zurückzuziehen.
Die wenigen überlebenden Kolonisten kämpfen um ihre nackte Existenz, die spärlichen Güter verteilend, die sie unter Lebensgefahr aus dem Wrack der Vilm van der Oosterbrijk herausholen können. Einige geben sich der Hoffnung hin, ein zufällig vorbeifliegendes Raumschiff herbeirufen zu können, andere träumen davon, die zerstörten Funkanlagen wieder instand setzen zu können und den nächsten Außenposten der Zivilisation zu erreichen. Doch die Mehrheit hat sich damit abgefunden, den Rest des Lebens auf Vilm verbringen zu müssen.
Besuchen Sie den Regenplaneten … freundliche Leute, es pladdert, Sie sind pitschnass und frieren sich Arsch und Eier ab, besuchen Sie diese Welt, es lohnt sich, primitive Sitten werden Sie tief beeindrucken, notiert Kevin sarkastisch. Dabei gäbe es jenseits des plakativen Mainstream–Journalismus durchaus auch hochinteressante Aspekte zu berichten, wie zum Beispiel die Tatsache, dass die Ureinwohner des Regenplaneten symbiotische Zwillingswesen sind: Der eine mit dem Suffix A gekennzeichnete Teil ist ein menschenaffines Wesen, das mit dem Suffix J hingegen sein felliges animalisches Alter ego. (So teilt sich ein Protagonist namens Will in Will–A und Will–J auf.) Irritierend, aber gerade deshalb nicht weniger interessant, dass ausgerechnet dieses Alter–ego–Doppelbild mit dem Suffix J als Eingesicht bezeichnet wird.
Nicht minder interessant ist darüber hinaus die Rolle einer geheimnisvollen Goldenen Bruderschaft, die sich als sakral bemäntelte Global Player herauszustellen scheinen, was Karsten Kruschel indes nur andeutet. (Wohl wissend, dass die heimlichen Realitätsmachthaber der Schlüsselindustrien säkulare Ordensbrüder eines unsichtbaren Clubs sind? Eingedenk der Tatsache, dass das mächtigste Wesen [nennen wir es Gott] unsichtbar ist?)
Dass daneben auch noch eine Institution namens Papst (als neutrales Substantiv bezeichnet) vorkommt, mit mehreren Päpsten, gleichwohl wir es in diesem Roman mit einer weiblichen Protagonistin zu tun haben, also mit der Päpstin (augenzwinkernd mag auf Die Päpstin als Print–Bestseller und erfolgreicher Visual–Seller in Form des gleichnamigen Filmes hingewiesen werden), dies alles verschlägt indes nicht viel, was einerseits bedauerlich scheint, andererseits einem raffinierten Schachzug geschuldet sein könnte, wenn aus dem Vilm–Unternehmen noch eine Trilogie entstehen sollte, die die noch offen gebliebenen Fäden zu einem Final–Muster webte, das den positiven Eindruck der Lektüre dann allerdings zu einem beeindruckenden Spitzen–Event zu machen vermöchte, vermöge eines autoren– wie plotseitig außerordentlichen Potenzials. Denn ganz offensichtlich wird sich Karsten Kruschel ganz im Sinne seines Protagonisten Kevin gedacht haben: Mit einem (Band; Anm. d. Verf.) wird es nicht getan sein, das muss man langsam ankochen, da steckt Potenzial drin. Mit kleinen Rätseln anfangen und Stück für Stück dicker auftragen.
Ja, bitte, aber ohne Sahne, ist man als geneigter literaturaffiner Leser versucht zu sagen.
Klaus Middendorf, 15.2.2011