Serie: Die Bruderschaft der Krabbe, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Frank Drehmel |
In einem von Nonnen geleiteten Krankenhaus warten vier Jungen – die Bruderschaft der Krabbe - darauf, dass man operativ die "Krabben" entfernt, die in ihren Körpern heranwachsen. Die Krabbe von Nicolo ist noch ganz klein, die von Jarvis wächst in seinem Bauch und ist schon riesengroß, bei Come befinden sich viele winzige Krabben in seinem Blut und Bernadino - der Älteste der Gruppe - hat die Krabbe schon ein Bein gekostet. Eines Tages wird ein fünfter Junge, einer an der Schwelle zum Erwachsensein, Mael, in das Zimmer der vier verlegt, bei dem die Krabbe begonnen hat, das Hirn zu zerfressen, und der dementsprechend kaum noch mit der Umwelt interagiert. Dennoch erzählt ihm Bernadino ihre Krankengeschichte. Gemeinsam nehmen sie Mael in die Bruderschaft auf und weihen ihn schließlich in das ein, was nach ihrer Kenntnis hinter den geplanten Operationen stecken soll: Die Operateure versuchen mit Hilfe der entfernten Krabben ein ultimatives Monster zu erschaffen, das die Welt zerstören wird.
Für Mael kommt der Tag der Operation, und kaum dass er in einen tiefen Narkose-Schlaf gesunken ist, findet er sich zusammen mit den vier Leidensgenossen in einem düsteren, menschenleeren Schloss wieder, in dessen heruntergekommenen Gängen und Räumen sie schließlich menschliche Skelette finden. Dann tauchen die anderen Bewohner auf: weibliche, wunderschöne Vampire, ein Werwolf und schließlich der Meister höchstselbst, der mit dem Blut der fünf Kinder seinen Durst stillen will.
Mathieu Gallié, dessen Comic-Œuvre sich mit gut einer Hand voll Serien bisher in überschaubarem Rahmen hält, nimmt sich in "Die Bruderschaft der Krabbe" eines betrüblichen Themas auf eine Art und Weise an, die nicht nur ungewöhnlich und originell ist, sondern die auch noch hoffnungsfroh stimmt.
Die Vermutung, dass es sich bei den Krabben, die in den Kindern heranwachsen, um unterschiedlichen Formen von Krebserkrankungen handelt, welche die Jungen auf Grund ihrer Ängste und ihres Unwissens mystifizieren bzw. personalisieren, um sie bekämpfen zu können, drängt sich dem Leser auf den ersten Seiten ebenso wie die Annahme auf, dass es Angst und Unwissenheit sind, welche Bernadino zu der Vermutung hinreißen lassen, die Ärzte und Operateure würden an einem ultimativen Monster arbeiten. Um diese "irrationale" Art des Umganges mit der Erkrankung plausibel zu machen, verlegt der Autor die Handlung in eine unbestimmte Zeit und an einen unbestimmten Ort, die durch ein antiquiertes Ambiente gekennzeichnet sind, in einen Rahmen also, in dem man nicht davon ausgehen kann, dass Kinder und Jugendliche – wie heutzutage - mit Leichtigkeit an relevante Informationen gelangen können, sondern ganz von der Auskunftsfreudigkeit der Eltern abhängen.
Relativ klar ist zunächst auch auf Grund gewichtiger Indizien – z. B. Bernadinos gesundetem Beim - , dass es sich selbst in einem phantastischen Kontext bei den Ereignissen, die sich an Maels Narkose anschließen, um Visionen handeln muss, um Träume, in denen Ängste Formen erhalten, die im Erfahrungsschatz des Jungen begründet sein könnten. So hat der Meister eine frappierende Ähnlichkeit mit F. W. Murnaus Nosferatu, wobei dieses wiederum mit dem Ambiente des Krankenhauses, das durchaus auf die 30er-, 40er-Jahre des letzten Jahrhunderts verweist, in Übereinstimmung steht.
Die Psychologie der Charaktere, die Konflikte innerhalb der Gruppe in dieser Traumsequenz sowie eine rätselhafte Symbolik werden von Gallié gleichermaßen fesselnd wie leicht und ohne schwülstigen Pathos geschildert, sodass der Leser mühelos in diese Traumwelt, in der statt der Krabbe andere Gefahren lauern, hineingezogen wird, wobei die Traum-Theorie auf der letzten Seite des Albums zumindest in Frage gestellt wird.
Für die künstlerische Umsetzung zeichnet mit Jean-Baptiste Andreae ein kreativer Kopf verantwortlich, von dem unlängst "Die mechanische Welt" in der Reihe "Splitter Books" veröffentlicht wurde. Andreaes Zeichenduktus ist leicht, die Linien sind auf notwendige Akzente und Konturen reduziert. Form und Volumen erhalten die Bildelemente im Wesentlichen durch die sehr weiche Koloration, in der pastellene, aquarellierend aufgetragene Farben dominieren. Während die Figuren vergleichsweise einfach, aber markant gehalten sind, sind viele Hintergründe geradezu liebevoll in Szene gesetzt, wobei das Spielen mit Licht und Verschattungen für eine stimmige, der jeweiligen Situation angemessene, oft unheimliche Atmosphäre sorgt.
Fazit: eine inhaltlich fesselnde, phantasievolle und hochspannende Annäherung an ein bedrückendes Thema, welches auch künstlerisch kongenial umgesetzt ist.