Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
"An account [Bericht] of Adventures in the Strange places of the Earth after the foundering [Untergang] of the good ship Glen Carrig through striking upon a hidden rock in the unknown seas to the Southward. As told by John Winterstraw, Gent., to his Son James Winterstraw, in the year 1757, and by him committed [niedergeschrieben] very properly and legibly [lesbar] to manuscript."
Die Handlung des Buches setzt am sechsten Tag nach der oben erwähnten Schiffskatastrophe ein, als deren einzige Überlebende in ihren zwei Rettungsbooten endlich Land sichten. Um wie viele Menschen es sich dabei handelt, wird niemals genau klar. Der Ich-Erzähler John Winterstraw, der auf der Glen Carrig als Passagier gereist war, erwähnt Einzelpersonen nur mit Namen, wenn diese ob ihres mehrmaligen Auftretens leicht identifizierbar sein müssen. Die eigentliche Hauptperson neben John, der "Bootsmann", dessen umsichtiger Führung sich alle blind anvertrauen, kommt bis zum glücklichen Ende ganz ohne Namen aus.
Die Freude der Seeleute über die vermeintliche Rettung währt nicht lange. Bald müssen sie feststellen, dass sie auf ein wüstes, von vielen kleinen Kanälen durchzogenes Land gestoßen sind, auf dem einzig bizarr geformte Bäume wachsen. Zwei Tage durchrudern die Männer diese endlosen Wasserwege, ohne je lebendige Wesen zu sehen. Dabei leben sie in stetig wachsender Furcht, wenn in der Dämmerung weinende und klagende Geräusche die Luft erfüllen und in der Nacht unsichtbare Monstren vom Ufer aus die Boote belauern.
Endlich stoßen sie auf ein verlassenes Schiff und erfahren aus den Aufzeichnungen einer Passagierin von der Tragödie, die sich hier abgespielt hat. Die Mitglieder der Mannschaft wurden offenbar nach und nach entweder von Geschöpfen, die aussahen wie 'rohes Rindfleisch mit vielen Extremitäten' getötet, oder sie wurden von den Bäumen assimiliert. Auf einem dieser Gewächse finden John und der Bootsmann die zu Holz gewordenen Umrisse der Passagierin und ihres Verlobten, die nun täglich in der Dämmerung der Welt ihr Leid klagen.
Die Boote der Glen Carrig verbindet Elemente des Seeabenteuers (das zu der damaligen Zeit durch Bücher wie R.M. Ballantynes The Coral Island oder R.L. Stevensons Treasure Island eine beträchtliche Popularität erlangt hatte) mit schaurig-phantastischen Elementen. Obwohl es zu Beginn des 20. Jahrhunderts längst keine unerforschten Flecke auf der Weltkugel mehr gab, ersann Hodgson (womöglich inspiriert von der Sorte altem Seemannsgarn, das auch den in diese Rezension eingeschobenen Illustrationen aus Diego Gutierrez' berühmter Weltkarte aus dem Jahre 1562 zugrunde lag) vielerlei alptraumhafte Geschöpfe, allesamt abgrundtief böse und den Menschen nach ihrem Leben trachtend.
In dieser Umgebung braucht es schon ganze Männer, die zupacken und an einem Strang ziehen. Genau das beschreibt William Hope Hodgson. In einer Kritik des Buches fand ich die Beschreibung, man sehe "Profis bei der Arbeit" zu. Die Männer der Glen Carrig jammern nicht, sie bekommen keine hysterischen Anfälle und sie streiten nicht. Stattdessen leisten sie allen Befehlen Folge, die ihnen ihr Anführer erteilt. Der Bootsmann wird von John Winterstraw, der ihn ganz offensichtlich verehrt, als ebenso hünenhafter wie tatkräftiger, besonnener wie großherziger Mensch beschrieben. Als sich John [Vorsicht, kurzer Spoiler!] im vorletzten Kapitel anschickt, der jungen Mary Madison sein Herz zu schenken, erhält die offensichtliche Billigung dieser Verbindung von Seiten des Bootsmannes den Rang eines väterlichen Segens.
Hodgsons phantastische Geschichten haben u.a. H. P. Lovecraft beeindruckt, der sich zu den Boats folgendermaßen äußerte: "Few can equal Hodgson...in "Glen Carrig" there is vast power in the suggestion of lurking worlds and beings behind the ordinary surface of life." William Hope Hodgson veröffentlichte zu Lebzeiten nur vier Romane sowie einige Erzählungsbände. Viele seiner Storys scheinen in derselben Welt angesiedelt. Die phantastischen Geschöpfe des Autors tauchen (ähnlich wie bei Lovecraft) oft in mehreren Werken auf und sind letztlich nicht übernatürlichen Ursprungs. Einen Schöpfungsmythos oder eine Historie seines Universums hat der Autor jedoch nicht mehr beschrieben. Hodgson meldete sich freiwillig im Ersten Weltkrieg zur britischen Armee und fiel 1918 im Alter von nur 40 Jahren bei Ypern. Von seinen vier Romanen wird häufig The House on the Borderland als bestes (oder zumindest am leichtesten zugängliches) Werk bezeichnet, während das umfangreiche The Night Land selbst der Hodgson-Bewunderer China Miéville als kaum lesbar empfindet.