Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Der Roman beginnt mit der Entstehung eines Waisenkindes, welches sich im Verlaufe seines Werdeganges den Namen "Yatima" geben wird. Bei Yatima handelt es sich aber nicht um ein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern um ein künstlich geschaffenes, geschaffen von einer "Geburtssoftware" des Konishi-Polis, einer Vereinigung von Bewusstseinen, die lediglich als Software existieren.
Zu Beginn des vierten Jahrtausend hat sich die Menschheit sehr stark weiterentwickelt. Es existieren drei Gruppen: die Körperlichen, die Gleisner und die Poleis. Die Körperlichen lehnen es bewusst ab, ihr Bewusstsein in Roboter, Androiden oder gleich als Software irgendwo einzuspielen. Sie leben ihr kurzes Leben auf der Erde, wie ihre Vorfahren es auch seit jeher getan haben. Die Gleisner erkunden in ihren widerstandsfähigen Körpern das Sonnensystem und das Weltall. Die in den Polies zusammengefassten Bewusstseine sind lediglich als hochkomplizierte Software "am Leben". Aus ihrer Sicht wird der Roman auch geschildert, wobei mehrere Handlungspersonen zum Zuge kommen.
Der Status quo ändert sich urplötzlich, als die Gleisner herausfinden, dass in einigen Tagen eine Katastrophe kosmischen Ausmaßes die Erde treffen und alles Leben auf ihr für eine lange Zeit vernichten wird. Ein Schutz der Körperlichen ist auf lange Sicht gesehen nicht möglich, da die kosmische Strahlung so ansteigt, dass die Ozonschicht weggeblasen wird. Die Erde verwandelt sich in einen lebensfeindlichen Planeten.
Versuche einiger Mitglieder der Poleis, die Körperlichen zu warnen und ihnen als Alternative die Aufnahme als Bewusstsein in ihre Gemeinschaft aufzunehmen, werden von vielen abgelehnt. So sterben die meisten Körperlichen, und die Gleisner vollziehen zumeist den Exodus aus dem Solsystem, auf der Suche nach einem bewohnbaren Planeten und auf intelligentes Leben.
Spätestens hier dürften die astrophysikalichen Grundlagen des Romans für den Großteil der Leser unverständlich sein und auch bleiben. Greg Egan baut auf den neuesten wissenschaftlichen Grundlagen sein Handlungsgerüst auf, wobei seine darauf aufbauenden Theorien und Gedankenspielereien mehr als wissenschaftlich sind. Ich kann jedenfalls nicht beurteilen, ob seine Gedankengänge in sich logisch bzw. wissenschaftlich überhaupt denkbar sind. Ein Großteil seiner Leser dürfte er hier überfordern.
Davon sollte man sich aber keineswegs abschrecken lassen und zur Not einfach die jeweiligen Seiten überlesen. Egan schafft es nämlich, einen Spannungsbogen aufzubauen, der sich über den gesamten Roman hinzieht und den Leser bei der Stange hält. Die Charakterisierungen seiner Haupthandlungsträger sind tiefgehend und sein Schreibstil ausgereift. Er schreibt keinesfalls so trocken, wie man bei der gedanklichen Tiefe der Thematik eigentlich erwarten würde. Er schafft es durchaus, seine Leser zu unterhalten, wobei man durchaus bei der Lektüre konzentriert zu Werke gehen muss. Mit Diaspora hat Egan einen Roman geschrieben, der durchaus nicht für die breite Masse der SF-Leser gedacht ist. Für den Weg zur Arbeit oder als leichte Entspannungslektüre ist er jedenfalls ungeeignet. Freuen können sich diejenigen Leser, die anspruchsvolle und wissenschaftlich fundierte SF lesen möchten.
Am Ende des Romans gleitet Egan dann in Sphären ab, auch zeitliche, die das Vorstellungsvermögen der meisten seiner Leser wohl völlig überfordert. Ich jedenfalls konnte ihm diverse Male nicht folgen.
Diaspora ist mit Abstand der anspruchsvollste Roman des australischen Autoren, den ich bisher gelesen habe. Den Massengeschmack wird er mit solchen Werken wohl nicht treffen, und es besteht durchaus die Gefahr, dass seine Werke als "unlesbar" für viele gelten werden. Zum Glück aber ist er mit seinem letzten Roman, der unter dem Titel Teranesia bei Heyne als Taschenbuch vorliegt, wieder zu einem nachvollziehbaren Handlungshintergrund zurückgekehrt.