Reihe: Deus Ex, Band 1 Eine Rezension von Gloria Manderfeld |
Im Jahr 2027 steht die Menschheit kurz vor einer bahnbrechenden neuen Entwicklung – die Nano-Kybernetik macht es möglich, körperliche Unzulänglichkeiten komplett auszuschalten und auf ein übermenschliches Maß zu verbessern. Doch diese unbegrenzt wirkenden Möglichkeiten rufen eine seit Jahrhunderten im Verborgenen operierende Geheimorganisation auf den Plan, die versucht, einen solchen, extremen Fortschritt zu verhindern, da sich die Menschheit dann nicht mehr von ihr kontrollieren ließe.
Nach brutalen Morden an Kybernetik-Befürwortern, -Wissenschaftlern und -Lobbyisten gerät auch die Secret-Service-Agentin Anna Kelso mitten ins Geschehen. Bei einem Auftrag, bei dem sie eine Senatorin beschützen sollte, die auf dem Weg zu einem Treffen mit einem Kybernetik-Unternehmer unterwegs ist, wird ein Attentat verübt, Annas Partner kommt ums Leben. Doch die von ihren Vorgesetzten gelieferten Erklärungen stellen die findige Agentin nicht zufrieden, sie versucht, auf eigene Faust die Hintergründe des Anschlags zu ermitteln und gerät mit ihrer Neugierde ins Fadenkreuz der Organisation. Als Terroristin gebrandmarkt muss sie flüchten und kommt der Wahrheit immer näher …
Auch Ben Saxon, ehemaliger SAS-Offizier und nun als Militärdienstleister, kurz Söldner, muss nach einem katastrophal verlaufenen Einsatz für seinen Arbeitgeber Belltower rekapitulieren – sein gesamtes Team ist durch Fehlinformationen ums Leben gekommen und Saxon gibt sich die Schuld dafür, noch am Leben zu sein. Ein neues Jobangebot kommt wie gerufen – er heuert bei einer Elite-Söldnereinheit an, deren Effizienz weit über dem gewohnten Standard liegt. Doch das brutale, unsoldatische Vorgehen weckt das Misstrauen Saxons und er versucht herauszufinden, für wen er da eigentlich arbeitet und forscht seinen Auftraggebern nach. Ein mysteriöser Hacker bietet seine Unterstützung an und so beginnt für Saxon ein nervenzerfetzendes Doppelspiel, bei dem er nicht lange unentdeckt bleibt …
Die Welt von Deus Ex ist düster, eine Zukunftsvision, in der das Thema Menschlichkeit hinter technischen Neuerungen immer mehr zurücktritt – die Cyberpunk-Computerspiel-Reihe, auf welcher 'Der Icarus-Effekt' basiert, nimmt diese Thematik immer wieder auf und beleuchtet sie aus verschiedenen Blickwinkeln. Die Story des 'Icarus-Effekt' basiert auf der Überlegung, ob die kybernetische Entwicklung für die Menschheit vorteilhaft ist oder nicht – was die Geheimgesellschaft der Illuminaten ganz klar mit einem 'Nein' beantwortet. Wie bei Icarus, dessen mit Wachs verarbeitete Flügel bei zu großer Nähe zur Sonne zu schmelzen begannen und ihn in den Tod stürzten, versuchen die Illuminaten, die Menschheit nicht zu nahe an die Sonne des Fortschritts gelangen zu lassen.
Leider tritt jedoch dieser sozio-philosophische Aspekt menschlicher Entwicklung sehr weit hinter die alles bestimmende Action zurück. James Swallow erzählt temporeich und sehr filmisch, alle Szenen kann man sich durch die treffenden Beschreibungen gut vorstellen, auch der häufige Perspektivwechsel zwischen den beiden Hauptfiguren und ihren Gegenspielern lassen den Spannungsbogen sehr lange ein beherrschendes Element bilden, das gut gewahrt wird.
Auch die Grundcharakterisierung der Figuren ist treffend und birgt einen hohen Wiedererkennungswert, allerdings bleiben gerade die Hauptfiguren in ihrer Auseinandersetzung mit dem Kybernetik-Thema recht blass, sie akzeptieren diese als Teil ihres Lebens, ohne diese groß zu hinterfragen. Hier wäre noch Potential für mehr gewesen, doch steht zu vermuten, dass der Arbeitsauftrag an Swallow eher für die Actionaspekte gelautet hat. Neben den allgegenwärtigen Actionszenen bleibt wenig Raum für Charakterentwicklung, weder Anna noch Saxon scheinen ihre Grundhaltung zu verändern, gerade Saxons Ehrenhaftigkeit, die er unter allen Umständen aufrecht erhält, wirkt angesichts der sich ihm bietenden Gefahren etwas aufgesetzt.
'Der Icarus-Effekt' ist ein spannendes Leseabenteuer mit generell sehr glaubhaften Charakteren, das bei jedem Kapitel zum weiterlesen verleitete – nach der Lektüre allerdings bleiben einige Fragen nach den Hintergründen offen, die man sich als Near-Future-Leser beantwortet gewünscht hätte – gerade weil das Kybernetik-Thema sehr viele interessante Ansätze bietet.
Fazit: Spannende Action und Cyberpunk satt, leider ohne tiefer gehende Diskussion des Kybernetik-Aspekts. Sieben von zehn möglichen Punkten.