Titel / Originaltitel: Der Tunnel vorgestellt von Ulrich Blode |
Bernhard Kellermanns Roman Der Tunnel erscheint im April 1913 beim S. Fischer Verlag. Bereits im Oktober erreicht das Buch eine Auflage von einhunderttausend Exemplaren. Innerhalb kürzester Zeit wird es in weit über zwanzig Sprachen übersetzt und erzielt dabei eine Millionenauflage.
Der Titel verrät bereits, um was es in Kellermanns Roman geht: Der Tunnel. Es ist ein äußerst ungewöhnlicher Tunnel, denn er soll die zwei Kontinente Amerika und Europa miteinander verbinden. Es ist eine Zeit, in der Verkehrs- und Kommunikationsmittel bereits weit fortgeschritten sind. Beispielsweise wird gerade der Ärmelkanaltunnel eröffnet. Dem Ingenieur Mac Allan gelingt es, einer Gruppe von kapitalkräftigen Financiers die Idee eines transatlantischen Tunnels zu verkaufen. Das Projekt schreitet zügig voran. Ganze Städte entstehen an den Tunnelöffnungen, um die notwendige Infrastruktur zu gewährleisten. Doch es kommt ebenfalls zu Katastrophen. Eine Explosion zerstört einen Großteil des Tunnels. Tausende Arbeiter sterben, es kommt zu einem Aufbegehren der Überlebenden und Hinterbliebenen. Sie treten in Streik, Investoren stehen nicht mehr hinter dem Projekt, anscheinend ist es das Aus für den Tunnel.
Nach 26 Jahren ist das gigantische Bauprojekt nach langen Verzögerungen beendet. Es ist ein großer technischer und menschlicher Erfolg, der mit einem hohen Preis verbunden ist. Insgesamt 9000 Arbeiter sind gestorben. Mac Allan ist alt geworden. Er hat seine erste Frau und ihr Kind verloren, denn der wütende Mob hat beide nach dem ersten großen Unglück getötet. Er ist sich seines zweifelhaften Triumphs bewusst. Zwar verkürzt sich die Fahrzeit zwischen Amerika und Europa auf 24 Stunden, aber die Technik des Tunnels ist bereits weitgehend veraltet und muss überholt werden.
Mac Allan tritt mit sich selbst in Wettbewerb und will in exakt vierundzwanzig Stunden seinen Tunnel mit dem ersten offiziellen Zug durchfahren. Viele fiebern an den Bahnstationen, den eigens errichteten Tunnelstädten, während dieses Rennens mit.
"In wenigen Minuten mußten sie ankommen, und sie zählten Kilometer und Sekunden. Die Signallampen fegten vorbei, der Zug stieg... Plötzlich blendete weißes, grausames Licht ihre Augen. Der Tag brach herein. Allan stoppte ab. Sie waren mit zwölf Minuten Verspätung in Europa eingetroffen."
Bernhard Kellermann zeigt in seinem Roman die Ambivalenz technischer Großprojekte auf, die nur um ihrer selbst willen am Leben erhalten werden. Der Protagonist Mac Allen sieht zwar eine Zukunft für den Tunnel, doch bieten Flugzeug und Schiff längst schnellere Alternativen bzw. werden es zukünftig sein. Kellermann beschreibt die anfängliche Euphorie und die einsetzende Ernüchterung bis hin zur wirtschaftlichen Krise.
Vieles ist für den Einzelnen nicht mehr überschaubar und hängt von psychologischen und weniger von technischen Elementen ab. Kellermann nimmt zudem vieles von der Weltwirtschaftskrise des Jahres 1929 vorweg. Sicherlich würden die Charaktere und Szenen heute ausführlicher geschildert werden. Doch das Buch weist eine Dynamik auf, an der sich selbst heutige Romane messen lassen können.
Aufgrund des durchschlagenden Erfolgs gründete der Verleger S. Fischer im Jahr des Ersterscheinens eine Gesellschaft, um das Buch zu verfilmen. Tatsächlich kommt der Film, gedreht von William Wauer, 1914 in die Kinos. Wauer dreht den Stummfilm mit den damaligen bekannten Schauspielern Friedrich Kayssler und Fritzi Massary. 1933 folgt Kurt Bernhards Verfilmung mit Paul Hartmann als Mac Allan, Olly von Flint als Mary Allan und Gustaf Gründgens als Financier Woolf. Gleichzeitig wird eine französische Version hergestellt, Le Tunnel (1933). Zwei Jahre später folgt ein weniger eindrucksvolles englisches Remake, zu dem Curt Siodmak das Drehbuch von Kurt Bernhard und Reinhard Steinpicker, also des 1933er Films, als Vorlage nimmt.
Bernhard Kellermanns Der Tunnel ist in mehreren Verlagen erschienen, z. B. in der Bibliothek des 20. Jahrhunderts, herausgegeben von Walter Jens und Marcel-Reich-Ranicki; im Wilhelm Heyne Verlag als Taschenbuch der Science Fiction Classics (stellenweise gekürzt), wiederholt im Ursprungsverlag S. Fischer und auch im Suhrkamp Verlag.
Der Tunnel - Rezension von Erik Schreiber