Titel: Der Tunnel Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Roderick Gordon und Brian Williams folgen einer alten Tradition und erzählen eine Geschichte, die im Untergrund der Welt spielt. Sie greifen die Hohlwelt-Theorie auf, ohne sie als solche zu benennen. Sie folgen dabei Autoren wie Jules Verne mit seiner Reise zum Mittelpunkt der Erde oder Neil Gaiman mit seinem Neverwhere und anderen mehr. Auch die Erzählung „Die Schöne und das Biest“ oder Tom Beckers Darkside - Die Schattenwelt sei erwähnt. London bietet sich dabei als Ausgangspunkt sehr gut an, nicht nur wegen seiner sehr früh errichteten Kanalisation, sondern auch die tief im Untergrund liegende U-Bahn bietet die Möglichkeit, den Untergrund zu erkunden.
Der Arbeiter Terry stürzt bei Abrissarbeiten in einen tiefen Schacht, wo er durch ein Fenster in einer Tür in eine andere Welt blicken kann. Wahnsinnig vor Angst, geht er nach Hause, wo man ihn für verrückt hält. Kurz darauf ist Terry verschwunden.
Dr. Burrows, Archäologe und Museumsdirektor ohne Angestellte, erhält Besuch von einem seiner Stammbesucher. Oskar, so heißt der alte Mann, besitzt eine seltsame Glaskugel. Sie ist mit einer seltsamen Flüssigkeit gefüllt, die um so heller strahlt, je dunkler die Umgebung ist.
Will Burrows, der mit seinem albinotischen Aussehen immer auffällt, ist ein begeisterter Schatzgräber. Damit tritt er in die Fußstapfen seines Vaters, Dr. Burrows. Heimlich steigen sie in Keller, verlassene U-Bahn-Schächte und Tunnel, um nach Artefakten der Vergangenheit zu forschen. Der Vater ist ein unbekannter Forscher, der immer nur Handlanger-Jobs ausführen darf, während die anderen das Lob und den Erfolg einheimsen. Mit dem schlecht bezahlten Posten eines kleines Stadtteilmuseums muss er sich zufrieden geben und seine Frau und seinen Sohn mit dem bisschen Geld durchbringen. Wills Mutter ist - mit der Angewohnheit, den ganzen Tag vor dem Fernseher zu hocken - auch nicht gerade der Ausbund an Fröhlichkeit. Sie hat sich in sich zurückgezogen und kümmert sich kaum noch um ihren Mann und noch weniger um ihren Sohn und ihre Tochter. Daher kommt es, dass der Vater mit dem Sohne auf Schatzsuche geht. In den Tiefen Londons finden sie nicht nur ihre Bestimmung, sondern auch alte Dinge, die in der viktorianischen Zeit durchaus unscheinbar wirkten, aber in der Neuzeit gefragte Antiquitäten sind.
Dr. Burrows findet bei seinen Grabungen im Londoner Untergrund etwas, was es gar nicht geben sollte. Doch erhofft er sich, mit der Veröffentlichung seines Fundes endlich den ihm zustehenden Ruhm zu erlangen. Selbst seinem Sohn verrät er keine Einzelheiten. Eines Tages verschwindet Wills Vater, und selbst die Polizei kann sich nach wochenlanger Suche auf das spurlose Verschwinden keinen Reim machen. Lediglich der elfjährigen Schwester Rebecca, die sich um den Verbleib ihres Vaters, wie auch die Mutter, keine Gedanken macht, geht es besser. Sie wirkt als Einzige der Familie recht normal, zumal sie diejenige ist, die den Haushalt erledigt.
Will, der in dem an Neurodermitis leidenden Chester seinen einzigen Freund fand, macht sich mit ihm auf die Suche nach seinem Vater. Dr. Burrows hatte Will kurz vor seinem Verschwinden eine seltsame Kugel gezeigt, die mit dem Verschwinden des Vaters ebenfalls unauffindbar ist. Die Kugel hat die seltsame Eigenschaft, je heller zu glühen, desto dunkler es wird. In der Tat finden die beiden nicht nur Hinweise, denen sie in aller Heimlichkeit nachgehen. Ihr Handeln bleibt jedoch nicht unbemerkt. Vermummte Männer beobachten sie, und nur mit Mühe gelingt es den beiden, ihren Verfolgern zu entgehen. Die Männer, die selbst dann Sonnenbrillen tragen, wenn die Sonne nicht so stark scheint, fallen mit ihren großen Hüten natürlich auf. Das Gefühl, etwas Verbotenes zu tun, auf ein Geheimnis gestoßen zu sein, setzt Energien frei, die die beiden Jungs nutzen, um weiter zu forschen. Sie graben daher an einer Stelle, die vorher von Wills Vater benannt wurde. Bei ihren Aktivitäten finden sie einen Durchgang in eine wunderliche unterirdische Welt, die sie nicht erwarteten. Eine Stadt unter der Stadt, in einer riesigen Höhle. Ein Ort, den die beiden nie erwarteten. Die Kolonie unter der Erde erweist sich für Oberweltler als sehr gefährlich. Die Menschen, auf die sie treffen, sind nicht gerade freundlich zu den Oberweltlern, die scheinbar an ihrem Geruch erkannt werden können. Chester und Will werden eingefangen und eingesperrt. In Verhören müssen sie ihren Wärtern Antworten geben, die sie zum Teil nicht kennen. Gleichzeitig erfährt Will von seinem Vater, der ebenfalls in der unterirdischen Kolonie verblieben ist - auch nicht freiwillig. Das Schlimmste für die Jungen ist wohl der Umstand, dass jeder, der einmal hier ankam, nie wieder nach oben darf. Herrscher des Ganzen sind die Styx. Der Fluss der griechischen Unterwelt ist gleichzeitig ein Synonym für diejenigen, denen alles zu gehören scheint und die eine unbarmherzige Regentschaft ausüben.
Plötzlich tauchen zwei Menschen auf, die behaupten, Wills wahre Verwandte zu sein. Er wird von ihnen aus dem Gefängnis geholt. Will schwört seinem Freund Chester, ihn ebenfalls aus dem elendigen Loch, Gefängnis genannt, zu holen. Aber vorerst folgt er seinem angeblich wahren Bruder. Es gilt, die Geheimnisse der Styx aufzudecken.
Das Hörbuch ist vielfältig und liebevoll gestaltet. Die Schachtel besteht nicht etwa aus Kunststoff, den ich nicht gern sehe, sondern aus einer schön gestalteten Pappschachtel, die das Titelbild des Buches übernommen hat. Die CDs selbst sind in Kunststoffhüllen verpackt, die, zumindest in meiner Ausgabe, an den Nahtstellen aufplatzen. Ansonsten ist die Ausstattung mit dem zusätzlichen Informationsmaterial gut gelungen.
Andreas Fröhlich ist den Hörbuchfans sicherlich bekannt. Seine Stimme kennt man aus den Abenteuern der drei Fragezeichen, Inspektor Wallander oder Die drei Musketiere. Er versteht mit seiner Stimme den Figuren Leben einzuhauchen wie etwa Damien in Omen oder als Ethan Hawke im Club der toten Dichter, doch klingt bei ihm Erschrecken einem erfreuten Ausruf ziemlich ähnlich. Seine langjährige Erfahrung lässt die Zuhörer mitfiebern, wenn es darum geht, der Erzählung zu folgen. Die Stimmung des Hörspiels sorgt dafür, dass man gar nicht aufhören möchte zuzuhören. Wenn man doch unterbrechen muss, findet man auf den CDs in regelmäßigen Abständen Punkte, an denen man technisch wieder einsteigen kann, im Englischen Track genannt. Besser geeignet ist im Buch jedoch das Leseband.
Beim Buch sieht es etwas anders aus als beim Hörspiel. Es ist wesentlich ausführlicher als ein Hörbuch sein kann. Tunnel ist eine fesselnde Geschichte, der man die Erzählfreude des Autorengespanns anmerkt, aber auch, woher sie ihre Ideen bezogen. Dabei folgen sie im Großen und Ganzen den Gesetzen eines Jugendbuches, bei dem sie ohne jegliches ’zauberhafte Brimborium’ auskommen. Keine Magie und Zauber, keine seltsamen Wesen und keine Handlungen, die nicht logisch, sondern mit Magie erklärt werden müssten. Die Geschichte ist eine ganz normale Erzählung. Vor allem ist es nicht das hunderttausendste Waisenkind, das die Welt retten muss. Manchmal habe ich als Leser den Eindruck, es gibt heutzutage nur noch Waisenkinder. Dabei wird aus der einfach strukturierten und sehr geradeaus geschriebenen Erzählung ein kleines Wunderwerk. Die Erzählung erschien zuerst im Selbstverlag, bis ein Verleger darauf aufmerksam wurde. In Verbindung mit den Handlungsträgern, meist Außenseitern der Gesellschaft, erweist sich die Handlung alsbald als gar nicht mehr so einfach. Sie bleibt in vielen Dingen vorhersehbar. Haupt- wie Nebenfiguren zeigen plötzlich neue Eigenschaften, die der Geschichte eine neue Richtung geben können. Leider hat das Buch den Nachteil, dass es tatsächlich nicht in sich abgeschlossen ist. Der letzte Satz auf der letzten Seite lautet: "Sie war noch nicht fertig."