Titel: Der schwarze Vorhang Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
In Deutschland gehört der irische Autor Joseph Sheridan Le Fanu (1814-1873) zu den weniger bekannten Klassikern der englischsprachigen Literatur. Doch ähnlich wie Lovecraft oder Poe beeinflusste er unzählige moderne Horror- und Thrillerautoren. Seine unheimlichen Erzählungen und Romane sind teils phantastisch, teils eine Mischung aus Schauergeschichte und Krimi. Mit seiner Novelle "Carmilla" schuf Le Fanu - neben Bram Stokers "Dracula" - eine der berühmtesten Vampirgeschichten. M. R. James bezeichnete Le Fanu, als "den besten Geschichtenerzähler des 19. Jahrhunderts".
Der Band "Der schwarze Vorhang" beinhaltet drei Geschichten, die typisch sind für Le Fanus Werk und hiermit zum ersten Mal auf Deutsch vorliegen. Gleich die Titelgeschichte erzählt von unheimlichen Geschehnissen in einem irischen Landhaus. Ein Lord, der zunächst als gutmütig und warmherzig vorgestellt wird, entpuppt sich zunehmend als zwielichtig. Seine frisch vermählte Frau Fanny gerät in seinem Landgut in äußerst merkwürdige Situationen. Sie darf den hinteren Teil des Gebäudes unter keinen Umständen betreten. Nachts wird sie von einer wahnsinnigen alten Frau heimgesucht, die ihr nach dem Leben trachtet. Trotz großer Angst, versucht sie, hinter das schreckliche Geheimnis des Hauses und ihres Mannes zu kommen. - "Der schwarze Vorhang" entpuppt sich als eine Mischung aus Spukgeschichte und Psychothriller mit einer überaus beklemmenden Atmosphäre. Mord und Wahnsinn sind die zentralen Themen. Die Geschichte, die Le Fanu später zu dem Roman "Wyvern Mystery" ausbaute, reizte auch die Filmemacher. Sie wurde vor wenigen Jahren vom englischen Fernsehen aufwändig verfilmt.
In der zweiten Erzählung "Aus den geheimen Aufzeichnungen einer irischen Gräfin" geht es um die junge Margaret, die nach dem Tod ihrer Eltern auf das Landhaus ihres Onkels Arthur kommt. Diesen Onkel umgibt ein seltsames Geheimnis. Vor Jahren soll er einen Mord verübt haben. Dieser Mord, der sich als ein perfektes Verbrechen entpuppte, konnte ihm jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden. Als Margaret Onkel Arthur zum ersten Mal begegnet, traut sie ihm alles zu, nur keinen Mord. Denn ihr Onkel erweist sich als überaus gutmütig. Je länger sie jedoch in dem Haus ihres Onkels lebt, desto seltsamer und bedrohlicher wird ihre Lage. Jemand möchte sie ermorden. - Auch diese Erzählung baute Le Fanu in späteren Jahren zu einem Roman mit dem Titel "Onkel Silas" aus. Die zweite Hälfte der Geschichte ist extrem verstörend und unheimlich. Hier beschreibt Le Fanu beinahe minutiös, wie Margaret die Vorbereitungen zu ihrem eigenen Mord beobachtet.
Die letzte Geschichte trägt den Titel "Abenteuer eines Totengräbers" und zeigt Le Fanus Vorliebe für traditionelle Geistergeschichten, die er zusammentrug und umarbeitete. In dieser witzigen Erzählung geht es um einen trinkfreudigen Totengräber, der eines Nachts eine recht unheimliche Begegnung hat.
In allen drei Erzählungen erweist sich Sheridan Le Fanu als recht moderner Autor des Unheimlichen und des Suspense. Die oben genannte Aussage von M. R. James, kann man mit einem Zitat von E. F. Benson ergänzen: "Er produziert Seite für Seite einen weitaus höheren Schrecken als Edgar Allan Poe, und sein Erfolg, den Leser zu verstören, ist erstaunlich." Le Fanus lebendige und eindringliche Schilderungen bleiben lange haften und verfehlen keineswegs ihre unheimliche Wirkung. Ich hoffe sehr, dass bald weitere Werke Le Fanus auf Deutsch erscheinen.