Titel: Der Mann unter der Treppe Eine Besprechung / Rezension von Karsten Kruschel |
Ein rundum glückliches Paar in der schwedischen Provinz steht am Anfang dieses Romans, und ein völlig zerrüttetes, von einem undurchdringlichen Geheimnis zerstörtes Leben steht an seinem Ende – das Geheimnis selbst allerdings schickt sich unterdes an, sein nächstes Opfer zu finden.
Frederik, der Ich-Erzähler des Romans, hat mit seiner Frau Paula und seinen beiden kleinen Kindern einen Traum von einem Haus gefunden, bildschön gelegen, in angenehmer Entfernung von der Stadt, ländlich ruhig, und dabei sowas von günstig... Ohne darüber nachzudenken, daß der günstige Preis vielleicht so seine Gründe haben könnte, ziehen Paula und Frederik ein.
Die ersten Risse des Familienidylls sind bereits in der Familie selbst angelegt: Frederik hat alle seine Karriereträume in der betulichen Ruhe der Stadtverwaltung und seines sicheren kleinen Beamtenpöstchens beerdigt, ein Langweiler vor dem Herrn. Seine Frau, innerlich zerfressen vom Gedanken an eine gescheiterte Tanzkarriere, war nur mit abstrusem Aufwand zu einer zweiten Schwangerschaft zu bewegen und stellt irgendwelche Kunst her, die Frederik schon gar nicht mehr zu verstehen versucht. Die heile Welt hat also ihre Sollbruchstellen, und Marie Hermanson legt alsbald die erzählerische Kettensäge dran, die Kerben zu veritablen Schneisen auszubauen, in denen der Leser sich langsam verliert.
Es beginnt mit den merkwürdigen Phasen krankhafter Schlaflosigkeit, die Frederik heimsuchen und ihn in kruden Ohnmachtsphantasien festgenagelt liegen lassen, zweifelnd an der Wirklichkeit. Frederik bemerkt eines Tages nach einer solchen Halbschlafattacke Spuren im Haus, die auf die Anwesenheit eines unsichtbaren Mitbewohners hindeuten. Niemand geht seinen Hinweisen nach, und als er, allein gelassen mit seinen Nachforschungen, endlich auf die Wahrheit stößt, glaubt ihm niemand. Keiner nimmt ihm ab, daß in einem Hohlraum unter der Treppe ein kleiner Mann lebt. Naja, vielleicht auch ein Kobold, ein Alien in ungefährer Menschengestalt. Man nimmt nichts von ihm wahr, wenn man nicht darauf achtet, und dennoch versucht Frederik ihn loszuwerden. Die Existenz eines nicht genehmigten, wilden, unbekannten Wesens in seinem Haus ist für Frederik unerträglich: Er kann so viel in seinem Leben nicht kontrollieren – schon gar nicht seine immer seltsamere Kunst produzierende Frau –, da will er wenigstens in seinem Traum von einem Haus die Oberhand behalten.
Den Versuch, ihn schlicht rauszuwerfen, kontert Kwådd – so der Name des Wesens – mit der Behauptung, er sei ja der Untermieter. Frederiks Forderung nach einer lächerlich überhöhten Miete jedoch wird mit der Zahlung der Summe beantwortet. Zeitgleich verschwindet eine größere Summe Geldes – und zwar genau dieselbe – bei einem Nachbarn der Familie. Nach und nach nimmt der Kampf gegen den kleinen Mann unter der Treppe immer mehr Raum in Frederiks Gedanken ein – und in seinen Taten. So viel der rätselhafte Untermieter auch anrichtet, er bringt es immer wieder fertig, daß nur Frederik ihn tatsächlich zu Gesicht bekommt. Die einzige Ausnahme ist Fabian, der kleine Sohn, aber der entwickelt sich unter Kwådds Einfluß langsam zum Rohling. Und der Hund nimmt den unheimlichen kleinen Mann wahr. Aber selbst die Tötung des Hundes durch Kwådd reitet Frederik nur noch tiefer in die Abwärtsspirale hinein.
Frederiks Handlungen wirken auf seine Familie und seine Umwelt zunehmend absonderlich. Es gibt jede Menge Beweise für die Existenz Kwådds, aber Fredrik schafft es nicht, daß die anderen sie auch wahrnehmen. Die Welt zerrinnt ihm zwischen immer verzweifelteren Versuchen, das Haus für sich allein zu haben. Er beginnt eine von vornherein hoffnungslose Affäre, die Frau wird schwanger, und Kwådd hilft Fredrik, sie verschwinden zu lassen – oder nimmt er den kleinen schmutzigen Mann nur als Vorwand für einen, nun ja, Mord?
Das saubere, einfache, kleine Leben verwandelt sich in einen befleckten, komplizierten Versuch, den Anschein zu wahren. Kwådd wird zu einem Dämon, aber nicht, weil Kwådd sich verändert, sondern weil Fredriks Leben immer mehr aus der Bahn gerät. Am Ende bekommt Fredrik den Beweis, daß Kwådd schon immer da war, daß er zu dem Haus gehört wie ein unschöner Schutzgeist – aber da ist Fredrik schon in der Klapsmühle, und es kümmert niemanden mehr, was er herausgefunden hat. An einer Stelle sagt Kwådd zu Frederik: „Ich weiß immer, welche Bewegungen du machen wirst. Bevor du selbst es weißt.“ (S. 115) Und genauso ist es.
Der Mann unter der Treppe ist vielleicht eine Art Hausgeist – aber dafür sind seine technischen Fertigkeiten zu ausgefeilt. Vielleicht ist er einfach nur ein sehr geschickter Obdachloser – dagegen sprechen seine übernatürlichen Fähigkeiten und die Tatsache, daß er das Haus nun schon seit mehreren Generationen benutzt, ohne sich verändert zu haben. Vielleicht ist Kwådd ein gestrandeter Außerirdischer – doch was sollte er ausrichten in dem unergründlich tiefen Versteck unter der Treppe?
Das alles wäre an sich kein Grund, die verrückte Geschichte vom Mann unter der Treppe für mehr zu halten als eine ausgewalzte Kurzgeschichte. Hermansons Erzählweise allerdings rechtfertigt die mehr als zweihundertfünfzig Seiten. Sie möbliert den Roman mit der Akkuratesse einer sadistischen Innenarchitektin. Wenn man sich den Horror von Lovecraft vorstellt wie Illustrationen von H.R. Giger, dann ist Hermansons Horror direkt aus dem Ikea-Katalog. Das macht ihn nicht weniger schrecklich. Nur anders. In den klaren, unzweideutigen Linien ihrer Inszenierung wird sowohl die Deutung Kwådds als Dämon einsichtig als auch die als Halluzination eines überarbeiteten Beamten. Das erklärt, warum sich Frederik am Ende im Irrenhaus wiederfindet – und warum Kwådd sich hier als existierend erweist. Beweise gibt es erst, wenn sie niemandem mehr nutzen. Kafkaeske Ausweglosigkeit steht am Ende. Frederik erhält einen unwiderlegbaren Beweis für die Existenz Kwådds, aber nun nutzt ihm das Wissen nichts mehr. Die nächste Familie zieht ein in das Haus, nicht ahnend, daß unter der Treppe etwas haust, das dort schon mehrere Generationen von Hausbesitzern überstanden hat, der eigentliche Herrscher des Hauses. Vielleicht ist das ja in allen schwedischen Häusern so, oder auch in allen Standard-Eigenheimen. Wohl dem, der weder Treppe noch Keller hat...