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Titel: Der letzte Schattenschnitzer Eine Rezension von Ida Eisele |
Einst herrschten die mächtigen Schattenschnitzer, Magier und Alchemisten, über die Welt der Schatten. Doch sie wurden vertrieben und verdrängt von den Schattensprechern, deren Rat noch heute über das Gleichgewicht zwischen Menschen und Schatten wacht.
Als Jonas Mandelbrot geboren wird, zeigt sich schnell, dass er über eigenartige Kräfte verfügt – die Kräfte eines Schattenschnitzers. Sein Schatten beginnt ihn zu lehren und vorzubereiten, auf dass er eines Tages dem Rat der Schattensprecher die Stirn bieten könne. Doch er ist nicht allein: in Mexiko wird Carmen Maria Dolores Hidalgo geboren, das Mädchen ohne Schatten.
Beim ersten Betrachten des Buches fällt zunächst das detailreiche Cover auf, das mir persönlich sofort gefallen hat. Auch innen ist das Buch ansprechend gestaltet, inspiriert von der Alchemie und passend unterteilt in drei Bücher namens „Kristallisierung“, „Zirkulation“ und „Auflösung“.
Die Sprache, das fällt schon auf der ersten Seite auf, ist sehr gewählt und ungewöhnlich, allerdings ohne größere Schwierigkeiten lesbar. Vom Stil her fühlte ich mich meistens an einen Geschichtenerzähler erinnert, was gleich eine ganz besondere Atmosphäre schuf. Bald machte sich aber auch eine gewisse Verwirrung darüber breit, welche der verschiedenen verwendeten Schriftarten welche Aussage hatte. Da hätte es meiner Meinung nach auch etwas schlichter sein dürfen.
Zwar besteht durch die Andeutungen des allwissenden, auktorialen Erzählers – der sich dem aufmerksamen Leser sehr schnell als Jonas Mandelbrots Schatten erschließt – von Beginn an eine Grundspannung, allerdings herrscht gerade im ersten Teil des Buches eine gewisse Unklarheit darüber, worauf alles eigentlich hinauslaufen könnte. Natürlich liegt der Schluss nahe, dass ein Konflikt mit dem Rat unausweichlich ist, aber warum das eigentlich so ist oder was es mit Jonas auf sich hat, bleibt sehr lange im Dunklen. Die Hintergründe erschließen sich dem Leser vor allem aus den Zitaten aus John Dees 'Alchemia umbrarum', die jedem Kapitel vorausgestellt sind.
Die Charaktere sind allesamt interessant, auf ihre Art faszinierend, und ausführlich beschrieben. Allerdings handelt es sich bei keinem einzigen um einen 'normalen' Menschen. Zudem erschwert die distanzierte Erzählweise Identifikation und Mitgefühl, wodurch ein unangenehmer Eindruck der Fremdheit entsteht.
Angesiedelt in der modernen Welt – die gerne immer wieder auf die Schippe genommen wird – ist 'Der letzte Schattenschnitzer' von einer auffallend christlichen Prägung, die einige biblische Geschichten tatsächlich zur historischen Wahrheit macht. Auch die wichtige Rolle des 'Wächters' – des letzten verbleibenden Engelsschattens – lässt die sonstigen Bezüge zu anderen Kulturkreisen oder gar den alten Chaldäern und Ägyptern ein wenig seltsam erscheinen. Hier blieben für mich in der sonst recht runden Geschichte ein oder zwei Fragen unbeantwortet, andererseits lebt der Charme der Schattengeschichte ja von unbestimmten Andeutungen und dem mysteriös-archaischen Flair, welches die Bezüge zu uralten Magiern aufbauen.
Die Geschichte fängt mit der Geburt von Jonas (und Maria) an, beschreibt die nächsten Jahre Stück für Stück und beschleunigt sich erst zum Ende hin. Dazwischen finden sich allerhand überraschende Wendungen und Entdeckungen, die mit einer guten Prise Humor und Erzählkunst gewürzt werden. Das Ende hat mich durch seine Ungewöhnlichkeit überzeugt, wenn auch die Frage offen blieb, woher Jonas mit seiner eigenartigen und unmenschlichen Jugend plötzlich die Menschlichkeit nimmt, die als Lösung aller Probleme dient.
Insgesamt halte ich das Buch trotz einiger Kritikpunkte für lesenswert, weil es unterhaltsamen und zugleich nicht anspruchslosen Lesestoff weit jenseits des Mainstreams bietet. 3 von 5 Punkten.