Titel: Der lange Weg nach Hause Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Eine kleine Fahrgemeinschaft ist auf dem Weg von der Arbeit zurück nach Hause. Steuerflüchtlinge, die in Pennsylvania arbeiten, aber in Maryland wohnen. Wie so viele andere sind sie auf der Interstate unterwegs. Doch dann geschieht das Unfassbare: Ein gewaltiger Trompetenstoß erschüttert die Welt. Ein riesiger Autounfall auf der Autobahn ist die Folge. Und die kleine Fahrgemeinschaft verliert fünfzig Prozent ihrer Mitglieder. Eine der Personen vom Rücksitz verschwindet spurlos. Die zweite Person trägt an Stelle ihres Gesichtes nur noch ein Eisenrohr. Fahrer Craig und der Erzähler Steve Leibermann sehen sich einer unfassbaren Situation gegenüber. Beide verletzt, zum Teil unter Schock, werden Bestandteil eines großen Unglücks. Viele weitere Fahrzeuge sind beteiligt. Menschen sind verletzt, tot oder verschwunden. Vor allem alle Kinder sind nicht mehr anwesend. Craig und Steve können aus ihrem Wagen aussteigen, und kurz bevor Steve ohnmächtig wird, taucht ein Neger namens Gabriel auf. Kurz darauf ist eben jener wieder verschwunden. Dafür kommen andere Personen ins Spiel. Frank Wieczynski zum Beispiel. Zu dritt versuchen sie zu helfen, müssen aber einsehen, dass sie es nicht können. Wenig später kommt Frank von einem Fernfahrer zurück, der über Funk gehört hat, dass überall auf der Welt das Chaos ausgebrochen ist. Flugzeugabstürze, Verkehrschaos, brennende Städte und vieles mehr. Überall, wo Menschen an wichtigen Punkten saßen und verschwanden, geht alles drunter und drüber.
Steve will nur noch nach Hause. Er kann in diesem Unfallchaos niemand helfen. Die Sehnsucht nach seiner Frau treibt ihn vorwärts. Craig und Frank wollen ihn nicht alleine gehen lassen und begleiten ihn. Es sind ja nur noch dreißig Meilen.
Diese dreißig Meilen sind die schrecklichsten im bisherigen Leben von Steve Leibermann. Dreißig Meilen, auf denen er das Grauen trifft, wie es nur Menschen erzeugen können. Vom Mob aufgehängte Kinderschänder, die Brian Keene zu einer sarkastischen Äußerung veranlassen; Menschen, die nur an sich denken und mit ihrem Verhalten andere gefährden und sich selbst in den Tod führen; Menschen, die zu einem gewalttätigen Mob werden; Menschen, die die Nacht und das Chaos ausnutzen. Brian Keene ist mit dieser Novelle einen Schritt weiter gegangen, als es jeder andere Gruselautor je ging. Vielleicht mit Ausnahme von James Herbert. Wenn das, was hier geschildert wird, die Liebe Gottes ist, möchte ich nicht von ihm gehasst werden. Denn Steve, der Jude, Craig, der Agnostiker, und Frank, der Atheist, sind ein sehr ungleiches Trio. Und dann noch diese zynischen Bemerkungen über den Juden, den Pollacken und Atheisten als Beginn eines Witzes, der sich als laufender Witz durch die Geschichte zieht, alles ist irgendwie seltsam. Die Novelle beschreibt den langen Weg, den Steve zurücklegen muss, um nach Hause zu kommen. Eine Reise, wie sie vielleicht noch mit Roger Zelaznys Straße der Verdammnis zu vergleichen wäre. Immer auf dem Weg zu seiner Frau Tilli, die er nie telefonisch erreicht, weil das Mobilfunknetz ausgefallen ist. Vorbei an Tätern und Opfern, vorbei an Hilflosen und Bedürftigen, dem Menschen bis in die tiefsten, verborgensten Winkel seiner Seele geschaut. Und letztlich Gabriel, der kommt und geht. Den Weg zu sich findet Steve, als er die letzten Meilen von einem Pfarrer mitgenommen wird. Das immer im Vordergrund stehende Thema ist die Entrückung. Gott holt all seine Schäfchen in den Himmel, bis auf jene, die den Glauben an ihn verloren, wie den Pfarrer oder die 144.000 Auserwählten der Trübsal.