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Der Planet Koryphon hat im Laufe der Jahrtausende verschiedene Wellen menschlicher Besiedlung erlebt. Zuletzt kamen interplanetarische Freibeuter, welche die auf dem Kontinent Uaia lebenden Uldra-Stämme überfielen und deren Häuptlinge zur Übergabe riesiger Gebiete zwangen. Die Freibeuter teilten dieses Land unter sich auf und gründeten Domänen genannte Latifundien von der Größe deutscher Bundesländer. Daneben entstand auf dem benachbarten kleinen Kontinent Szintarre die einzige erwähnenswerte Stadt, Olanje, die dank ihres Raumhafens eine urbane, kosmopolitische Kultur entwickelte. In der Folgezeit boten die Eroberer den Uldras die 'Segnungen' der modernen Wissenschaft an. Ansonsten ließen sie diejenigen Besiegten, die sich nicht an die neuen Zeiten anpassen wollten, links liegen.
Zweihundert Jahre später haben sich viele Uldras immer noch nicht mit der Herrschaft der Landbarone, der Nachkommen der Freibeuter, arrangiert. Als die junge Schaine Madduc nach fünf Internatsjahren auf einem fernen Planeten nach Koryphon zurückkehrt, finden in Olanje gerade die Redemptoristen großen Zulauf, eine Bewegung, die für die Rückgabe der Domänengebiete an die Uldras eintritt. Bekanntester Redner dieser Gruppierung ist der Uldra Jorjol, der fast wie Bruder und Schwester mit Schaine auf der Domäne der Familie Madduc aufwuchs. Zu jener Zeit war sein Rufname "Tortilla", mittlerweile nennt man ihn in Olanje den "grauen Prinzen".
Schaine hatte vor fünf Jahren eine kurze Affäre mit Jorjol und zerstritt sich schließlich mit ihrem Vater Uther Madduc über die faire Behandlung der Uldras. Nach all der Zeit will sie sich nun aber aussöhnen. Von Olanje aus fliegt Schaine zusammen mit ihrem Bruder sowie dem Besitzer einer Nachbardomäne, Gerd Jemasze, nach Hause. Auf halbem Weg entdecken sie einen abgeschossenen Fluggleiter - und darin die Leiche Uther Madducs. Der alte Mann hatte Schaine am Raumhafen abholen wollen, war aber nicht so weit gekommen. Im weiteren Verlauf des Buches begeben sich Kelse und Gerd Jemasze auf die Suche nach dem Mörder Uther Madducs, während sich die Beziehungen zwischen den Rassen und Spezies Koryphons zuspitzen.
Jack Vances Roman ist - wie zahlreiche andere seiner Bücher - im "Gaean Reach"-Universum (in den verschiedenen Übersetzungen mal als "Gäa-Reich" mal als "Gäanisches Territorium" tituliert) angesiedelt. Trotzdem ist das Buch völlig in sich abgeschlossen.
Inhaltlich ist Der graue Prinz ein typischer Vance. Es werden geboten: exotische Wesen und Landschaften (nicht umsonst gilt der Altmeister als ein Hauptvertreter der Science Fantasy und der Planetary Romance), ein Schuss Anthropologie, ein allwissender Erzähler, der zu allen Charakteren eine größere Distanz hält, und eine zügig voranschreitende Handlung.
Zur Sprache des Buches kann ich nur sagen, dass sie sehr leicht lesbar ist. Im angelsächsischen Raum wird Vance von seinen Fans vor allem wegen seines Schreibstils fast wie ein Gott verehrt. Die deutsche Übersetzung lässt dazu kein Urteil zu. Wer wie ich keine Originaltexte von Vance besitzt, kann sich aber zum Beispiel aus der britischen Internetzeitschrift infinityplus die Erzählung "Green Magic" herunterladen. Ich habe das getan, und mir schien das sprachliche Niveau zumindest dieser Geschichte beeindruckend.
Doch zurück zum Inhalt. Neben Die blaue Welt ist Der graue Prinz mein Lieblingsbuch von Jack Vance. Vielleicht liegt das an den Ideen des Buches: Mir gefielen etwa die Morphoten (intelligente mörderische Monster, die ihr Äußeres so faszinierend verändern können, dass Menschen versäumen, sich vor ihnen zu schützen) oder auch die Wagen mit Masten und Segeln, auf denen die Windläufer das Palga-Plateau durchqueren. Wahrscheinlicher aber ist, dass es mir einfach leichter fiel als in anderen Büchern, mich in Vances Charaktere einzufühlen. Das liegt sicher daran, dass Der graue Prinz den uramerikanischen Mythos vom Pionier und seinem Leben an der "Frontier", dem noch unverdorbenen Grenzbereich der Zivilisation, auf einen fernen, fremden Planeten versetzt . Alle Personen spielen Rollen, die uns aus unzähligen älteren Western bekannt sind: Die Madducs sind die Rinderbarone, und die Uldras die Art Indianer, wie sie überwiegend in John-Ford-Filmen vorkommen. Bei dieser Rollenverteilung kommen die oft hinterhältigen Uldras (es gibt auch edle Ausnahmen!) mit ihren langen Nasen schlecht weg, während ich als Leser gleich sehe, was für patente Leute die Landbarone sind.
Man merkt sicher an meiner ironischen Wortwahl, dass einige Botschaften des Buches diskussionswürdig sind. Wenn man Vance folgt, sind Städter meist verweichlichte Typen, und Menschen mit Macht wären dumm, wenn sie diese Macht nicht ausübten. Andererseits gelingt es mir immer bei interessanten Western, die Ideologie auszublenden, warum also nicht auch hier.
Noch eine Schlussbemerkung: Im Laufe des Buches gibt es einen Krieg, und der dauert eine Seite. Vance macht das oft. Seine Erzählerhaltung wechselt dann abrupt, und eine Zeit lang haben wir das Gefühl, ein populärwissenschaftliches Sachbuch zu einem geschichtlichen Thema zu lesen. Heutzutage, wo Romane (dem PC sei Dank) fast nie auf Seite 223 enden, hätten die meisten Autoren uns noch fünfzig Seiten Straßenschlachten geboten. Als ich diesen Roman als Halbwüchsiger zum ersten Mal las, war ich über die Unterschlagung ausgesprochen sauer, aber seitdem habe ich häufiger beobachtet, wie Vance ausgedehnte Action vermeidet - und eigentlich gibt es die ja auch anderswo schon zur Genüge.
Der graue Prinz - die Rezension von Andreas Muegge