Titel: Der Fürst des Nebels Eine Besprechung / Rezension von Andreas Kurth |
Im zweiten Weltkrieg wurden in allen betroffenen Ländern Kinder auf Land geschickt, um dem Bombenterror in den großen Städten zu entgehen. Im England des Jahres 1943 fliehen Max Carver und seine Familie vor dem Krieg aus London in ein altes Haus am Meer. Max selbst ist 13, seine kleine Schwester Irina ist 8, und die älteste Schwester, Alicia, ist bereits 15 Jahre alt. Die Kinder können nicht einmal von ihren Freunden Abschied nehmen, per Zug geht es innerhalb von drei Stunden in ein kleines Dorf an der Küste. Ihr neues Heim ist ein großes Holzhaus am Strand, außerhalb des Ortes gelegen. Erbaut wurde das Gebäude 19 Jahre zuvor von Dr. Fleischmann als Sommerresidenz für ihn und seine Frau Eva. Unter ungeklärten Umständen ertrank 1932 Jacob, der Sohn der Fleischmanns. Monate darauf kam Dr. Fleischmann ebenfalls ums Leben, und seine Frau verließ das kleine Dorf. Seither stand das Strandhaus zum Verkauf.
Geschwister finden neuen Freund
Während Irina noch am Bahnhof eine herrenlose Katze aufnimmt, finden die älteren Geschwister Max und Alicia in dem Dorf-Jungen Roland schnell einen neuen Freund. Er wurde nach dem Unfall-Tod seiner Eltern vom alten Leuchtturmwärter Victor Kray adoptiert, und fürchtet nun, im September zum Militär eingezogen zu werden. Gemeinsam mit Max - später ist dann auch Alicia dabei - taucht Roland zum Wrack der „Orpheus“. Der Frachter zerschellte 1918 im Sturm an den Klippen. Während Besatzung und ein paar Passagiere spurlos verschwanden - es wurden keine Leichen gefunden - überlebte der Schiffsingenieur Victor Kray. Aus Dankbarkeit dafür blieb er im Dorf und erbaute einen Leuchtturm, um den er sich seither kümmert.
Leben die Skulpturen etwa?
Merkwürdige und unheimliche Phänomene begleiten die Carvers seit ihrer Ankunft im Dorf. Max entdeckt, dass die Bahnhofsuhr rückwärts geht, die streunende Katze, die Irina mitnimmt, verhält sich offenbar feindselig. Die merkwürdigste Entdeckung macht Max im verwilderten Garten hinter dem Haus. Die dort stehenden Skulpturen scheinen zu leben, wechseln von einem Besuch dort zum anderen ihre Positionen. Und das Symbol am Garten-Tor ist identisch mit dem auf der Flagge des unheimlichen Schiffswracks. Max will herausfinden, was es mit all diesen Dingen auf sich hat. Dazu unternimmt er Recherchen über die Vergangenheit, den mysteriösen Tod des kleinen Jacob und den Untergang der Orpheus.
Böser Magier verfolgt Kray
Der alte Leuchtturmwärter kennt offenbar die Wahrheit. Doch er erzählt Max, Roland und Alicia nur höchst abenteuerlicher Geschichten. Es geht dabei um den „Fürst des Nebels“, einem bösen Magier, der den Menschen für eine hohe Gegenleistung jeden Wunsch erfüllen kann und Victor Kray angeblich seit dessen Jugendzeit verfolgt. Seine Symbole findet sich auf dem untergegangenen Schiff und im Skulpturengarten. Max ahnt, dass er der Lösung nur näher kommt, wenn er sich die scheinbar langweiligen Amateurfilme anschaut, die Dr. Fleischmann im Schuppen des Strandhauses hinterlassen hat.
Kray enthüllt Rolands Herkunft
Und so findet er heraus, dass die Figuren das Jahrmarktsesemble darstellen, mit dem der „Fürst des Nebels“ durch die Gegend gezogen ist. Die Truppe ist mit der Orpheus untergegangen und seither verschwunden. Die Lage spitzt sich für Max und seine Familie, aber vor allem für Roland zu, als der „Fürst des Nebels“ auftaucht. Als es ohnehin offensichtlich wird, enthüllt Viktor Kray endlich das Geheimnis um die Herkunft von Roland und dessen Verhältnis zum „Fürsten des Nebels“. Es kommt zu einem hochdramatischen Finale, das allerdings nicht für alle Protagonisten gut ausgeht.
Fazit:
Max und seine Schwester Alicia - die jüngere Irina ist während der dramatischen Zuspitzung der Ereignisse im Krankenhaus - lernen in den wenigen Tagen mehr über die Welt der Erwachsenen, als viele andere Kinder während ihrer gesamten Pubertät. Sie werden von ihren Eltern beschützt, aber der Krieg und die Magie des Nebelfürsten sind Dinge, gegen die Eltern offensichtlich wenig ausrichten können. Max kennt außerdem bereits die Methoden seines Vaters, um die Familie zu beruhigen und ihr Zuversicht zu geben. Er nutzt diese Kenntnisse, um seiner Schwester Alicia zu helfen. Max beobachtet mit Wohlwollen die Liebesbeziehung, die sich zwischen seiner älteren Schwester und ihrem neuen Freund Roland entwickelt. In den drei Freunden hat Zafon sympathische Figuren entwickelt, mit denen die Leser/Hörer von Beginn an mitfiebern. Insgesamt ist die Geschichte gut erzählt, hält ständig einen Spannungsbogen, und enthüllt immer gerade so viel von den verschiedenen Geheimnissen, das es weitergehen kann.
Zafón macht in seinem Schauerroman einige Anleihen bei bekannten Märchen und Mythen. So kennt man das Motiv des Wunsches, der für eine Gegenleistung erfüllt wird, aus „Rumpelstilzchen“. Das gesunkene Schiff erinnert im aufgetauchten Zustand an den „Fliegenden Holländer“, und beim Lesen denkt man auch ständig an John Carpenters Horrorfilm „Der Nebel des Grauens“. Denn dort geht es auch um einen in der Vergangenheit geschlossenen und gebrochenen Pakt, der bis in die Gegenwart wirkt. Weitere passende Motive sind Zirkus und Jahrmarkt, Clowns und Wahrsager. Damit wird das Unerklärliche und Unheimliche symbolisiert. „Der Fürst des Nebels“ ist eine spannend erzählte Geschichte, für Jugendliche geschrieben, aber auch für Erwachsene geeignet, die einen Sinn für gut geschriebene Geschichten haben.