Titel: Der Anschlag Eine Besprechung / Rezension von Thomas Backus |
Weil die Al Tempeltons Fatburger so konkurrenzlos billig sind, werden sie von den Einheimischen scherzhaft Catburger genannt. Es geht das Gerücht um, dass der Imbissbudenbesitzer Katzen und Hunde und allerlei anderes Getier verarbeitet, um sein Essen so günstig verkaufen zu können.
Trotzdem geht der Lehrer Jake Epping regelmäßig dorthin, besonders wenn die Aufsätze seiner Schüler mal wieder einschläfernd wirken.
Dann, eines Abends wird Jake von Al angerufen, mit der Bitte, sofort vorbeizukommen. Den Lehrer verwundet dies, aber er kommt der Bitte nach – und wird ziemlich verblüff. Al ist alt und krank und hat ziemlich viel abgenommen und Zähne verloren … und dabei hat er ihn am Vorabend das letzte Mal gesehen.
Al will das nicht erklären, er will es zeigen und führt den Lehrer ins eine Speisekammer, wo er Rückwärts (im doppelten Sinne) geht, und plötzlich im Jahr 1958 landet!
Der erste Unterschied zur Jetztzeit liegt im Gestank. Jeder raucht, und zwar überall, und die Fabrikschlote stoßen ungefiltert aus, was die Produktion hergibt. Dafür ist das Essen wegen der fehlenden Konservierungs- und viel geschmackvoller.
Als Jake wieder zurückkommt, total verwirrt, bedrängt ihn Al, etwas für ihn zu tun: Er will, dass sein Freundnoch einmal in die Vergangenheit reist, und den Mord an den Präsidenten J. F. Kennedy verhindert. Er täte es ja gerne selber, aber der Lungenkrebs (das Rauchen wird in dem Roman mehrfach thematisiert) hat ihn zu fest im Griff. Denn, und das finde ich eine wirklich nette Idee, wenn man durch den Kaninchenbau tritt (eine Anspielung auf Alice im Wunderland), ist immer der 9. September 1958, und wer immer das Attentat verhindern will, muss ein paar Jahre in der Vergangenheit verbringen.
Der Mord an Kennedy hat mich nie wirklich interessiert. Ich habe zwar den Film JFK gesehen, kann mich an Einzelheiten jedoch nicht erinnern. Als Nicht-Amerikaner und Nicht-Patriot kann ich die Beweggründe von Al Tempelton, seinen Tod zu verhindern, nicht nachvollziehen.
Jake Epping kann ich verstehen. Der Lehrer ist tief gerührt von dem Aufsatz eines verkrüppelten Hausmeisters, der als Erwachsener seinen Schulabschluss nachholen möchte.
Harry Dunning schreibt:
Der Ahmd der mein Leben veränderte, war der Ahmd an dem mein Vater meine Mutter und meine zwei Brüder erschlagen und mich schwer verletzt hat. Er hat auch meine Schwester verletzt, so schwer dass sie in ein Komah fiel. Nach drei Jahren ist sie gestorm ohne nochmahl aufzuwachen. Ihr Name war Ellen und ich hatte sie sehr lieb. Sie hat gerne Blumen geflüggt und in Wasen gestellt.
Und dieser Teil, der Erzählstrang, der sich um Harry Dunning dreht, der ist wirklich grandios!
Natürlich ist es das Schicksal dieses Mannes, der den Lehrer Jake Epping in die Vergangenheit treibt, denn sein Schicksal, und das seiner Familie will er unbedingt verhindern. Auch um festzustellen, wie sehr sich das Verändern der Vergangenheit auf die Gegenwart auswirkt.
Die Familie Dunning lebt in Derry, und das kennen wir bereits auch Kings Roman ES. Dass der Vater seine Familie erschlägt, ist in jenen Tagen kein Einzelfall. Eine Mordserie an Kindern hat die Stadt erschüttert, aber das scheint nun vorbei.
Während seines Aufenthaltes in Derry erkennt Jake, der sich in der Vergangenhzeit Gerorge Amberson nennt, dass die Stadt durch und durch verdorben und böse ist. Dass dort etwas haust. Und al er an einem umgestürzten Schornstein vorbeikommt, ist er sich sicher, dass das personifizierte Böse (ES) dort drin auf seine Chance lauert.
Und eben dies finde ich ebenfalls genial. King sieht überall Monster. Es sind nicht immer die Umstände, welche seine Protagonisten in das verwandeln, was sie sind, manchmal sind es die Orte, an denen sie sich aufhalten.
Derry, oder Dallas.
Ich kenne Texas hauptsächlich aus Western, und dort werden Texaner gerne glorifiziert. Die Serie Dallas habe ich nie gesehen. Aber wenn das Bild der Stadt, das King hier zeichnet (und im Nachwort deutet er dies an), dann muss es sich bei dieser Stadt um einen wirklich bösen Ort gehandelt haben! Insbesondere, was den Rassismus angeht, der in den 50ern noch Rassentrennung bedeutete.
King beschreibt einmal die Toilette an einer Tankstelle. Zwei Schilder für Männer und Frauen, und ein drittes für Nigger. Letzteres führt zu einem Brett, welches sich inmitten von Giftsumach befindet ...
Es gibt gute Bücher, sehr gute Bücher und grandiose Bücher. Dieses Buch ist nicht grandios, dafür ist es zu lang (über 1000 Seiten). Aber es ist verdammt nahe dran. Es wühlt einen auf, und es macht einen nachdenklich.
Ich habe mich gefragt, ob man das Buch kürzen könnte, aber alle Handlungsstränge haben ihre Bedeutung, auch wenn man die Verknüpfungen anfangs nicht immer erkennt. Die Jahre an der Highschool, in der Jake Theateraufführungen organisiert, um die Zeit totzuschalgen, bis sich Lee Harvey Oswald aufmacht, den Präsidenten zu erschießen ... die Liebe zu einer Frau mit Vergangenheit. Die Schicksale,w elche ihnen die Zeit in den Weg legt. Die Vergangenheit will nämlich nciht geändert werden, und sie wehrt sich. Und dabei kann sie verdammt bösartig werden!
Zeitreisen stellen für einen Autor ein schwieriges Terrain dar. Stephen King schreibt ins einem Nachwort, dass er dieses Buch schon 1972 hatte schreiben wollen, jedoch vor der umfangreichen Recherche zurückschreckte … nun, vielleicht finden Leser, die sich in der amerikanischen Geschichte besser auskennen das eine oder andere Haar in der Suppe.
Ich auch. Für mich als Rock & Roller sind die 50er Jahre ziemlich bedeutend, und das Jahr 1958 hatte es in sich: Elvis hat mit King Creole seinen besten Film abgeliefert, bevor er sich zum Militär meldete. Jerry Lee Lewis hatte ein wenig Pech, dass auf seiner England-Tour die Ehe mit seiner 13jährigen Cousine Myra bekannt wurde. Das warf ihn Karrieretechnisch ziemlich weit zurück. Buddy Holly hatte trotz Brille ein ziemlich gutes Jahr, Richie Valens erste Erfolge. 1959 sollten die beiden allerdings mit The Big Bopper bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommen … den 3. Februar 1959 bezeichnet man seitdem als The Day The Music Died. Chuck Berry nahm 1958 2 seiner bedeutendsten Hits auf: Sweet Little Sixteen und Johnny B. Goode. Er wanderte dann 1961 in den Knast, weil er eine weiße Minderjährige über eine Staatsgrenze mitgenommen hatte. Little Richard bekam wegen der Lasterhaftigkeit des Rock & Roll ein schlechtes Gewissen und strebte eine Priesterausbildung an.
Stephen King hat in vielen seiner Werke auch über die Musik geschrieben. Hier hielt er sich (leider) zurück. Danny And The Juniors werden erwähnt, ein paar Doo Wop Gruppen, und kurz Richie Valens. Der Flugzeugabsturz, den der Lehrer in der Vergangenheit miterlebt, spielt in der Geschichte keine Rolle (vielleicht ganz gut so, sonst wäre das Buch noch länger geworden…).
Die Rolling Stones sind mir zu modern, und seinen Mitbürgern in den 50ern ebenfalls. Das stellt Jake fest, als er unbewusst ihre Songs singt.
Da Jake Swing tanzt, spielt im Roman In The Mood von Glenn Miller eine größere Rolle (ich finde ja die Version von den Andrews Sisters besser). Aber hey, es geht hier nicht um ein Rock & Roll. Es geht um eine spannende Geschichte (hat er super hinbekommen), mitreißende Charaktere (da ist er Meister) und, da es um Zeitreisen geht, um Paradoxa (lasst Euch überraschen).
Interessanter Weise beschäftigt sich Stephen King nicht allzusehr mit Kennedy. Klar, die Bösen sind viel interessanter. Letztlich wird Oswald als ein armes Würstchen beschrieben (was er wohl war), und dass es insbesondere ein Verbrechen war, dass ausgerechnet jemand wie er die Geschichte so nachhaltig würde verändern können.
Jake versucht also heruszufinden, ob an den verschiedenen Verschwörungstheorien etwas dran ist, bevor er Oswald beseitigt. Er hat kein Problem damit, zu töten. Aber eines, unschuldige zu töten. Und das, was er da zutage fördert, ist höchst interessant...