| Serie/Zyklus: ~ Besprechung / Rezension von Sascha Hallaschka. |
Bei Alfred Besters Telepathen-Krimi Demolition handelt es sich nun wirklich um einen wahren Klassiker der Science-Fiction-Literatur. Schließlich erhielt Bester für diesen Roman im Jahre 1953 den ersten jemals vergebenen Hugo. Überdies wählten die Leser des amerikanischen SF-Sekundär-Magazins Locus Demolition im Jahre 1987 - eine aktuellere Wahl liegt mir derzeit leider nicht vor - zum 18. besten SF-Roman überhaupt. Nicht ganz zu Unrecht, wie mir scheint - so viel kann ich vorwegnehmen ...
Seit 70 Jahren hat es weltweit keinen Mord mehr gegeben. Der Grund dafür ist ganz einfach: Im Polizeidienst arbeiten mittlerweile viele telepathisch begabte Menschen, die sogenannten "ESPer" (nach Englisch: "Extra Sensory Perception" = Deutsch: "außersinnliche Wahrnehmung"; der Einfachheit halber verwende ich im Folgenden die normale Schreibweise "Esper", obwohl Bester im Roman durchgehend die erstgenannte Variante durchhält). Diese Gedankenleser können die Absicht zu einem Mord erkennen, bevor dieser überhaupt begangen wird. Die Welt scheint also, was das angeht, friedlicher zu sein als die unsrige.
Doch gilt dies nicht für alle Menschen. So ist der telepathisch nicht begabte Chef des Megakonzerns "Monarch" Ben Reich sehr daran interessiert, seine wirtschaftliche Macht noch stärker auszuweiten; letztlich möchte er die ganze Welt in seinen Griff bekommen. Diesem Vorhaben steht jedoch noch sein Hauptkonkurrent Craye D'Courtney (sic!) im Wege. Und nicht nur das: Während D'Cournteys Aktien steigen und steigen, geht es mit der Monarch langsam, aber sicher bergab. Daher beschließt Reich, seinen Konkurrenten umzubringen.
Da Reich sich jedoch des damit verbundenen Risikos, was die telelpathischen Polizisten angeht, vollauf bewußt ist, reicht es nicht, einfach einen Berufskiller zu engagieren und sich D'Courtneys so zu "entledigen", dass keine Spur zu ihm, Reich, zurückführt. Also geht er anders vor: Er plant den eigenhändigen Mord an seinem Konkurrenten akribischst. Er geht dabei so genau vor, daß die Sache letztendlich wasserdicht zu sein scheint und eigentlich nichts mehr schiefgehen kann.
Zunächst kommt es, wie Reich es geplant hat: Er bringt D'Courtney eigenhändig um, wird dabei jedoch von dessen Tochter beobachtet. Reich bemerkt dies und will nun ungeplanterweise auch sie umbringen, doch ihr gelingt die Flucht. Und damit beginnen Reichs Probleme. Neben diesem unerwünschten Zeugen hat Reich jedoch noch ein weiteres, viel größeres Problem: Es handelt sich dabei um Lincoln Powell, den wohl leistungsfähigsten Esper im Polizeidienst, der sich des Mordfalles höchstpersönlich annimmt, weil es schließlich wie gesagt seit 70 Jahren kein Schwerverbrechen der Kategorie "AAA" - das Kürzel der Esper für Mord - mehr gegeben hat.
Schon von Powells erster Begegnung mit Reich an hegt der Esper den Verdacht, dass der Konzernchef in den Mord verwickelt ist. Da jedoch alleine ein Riesen-Polizeicomputer namens "Vater Moses" darüber entscheidet, ob die vorliegenden Indizien in einem Fall für eine Anklage ausreichen, ist Powell darauf angewiesen, diese zu sammeln. Selbst als Reich Powell gegenüber den Mord inoffiziell mehr oder weniger gesteht, reicht dies nicht, um Reich seiner Strafe - für Mord ist dies die sogenannte "Demolition" - zuzuführen, weil Powell keine Möglichkeit hat, Reichs Geständnis zu beweisen.
Zunächst verläuft Powells Sammlung von Indizien gut. Als er jedoch Vater Moses den Fall vorlegt, entstehen Komplikationen zwischen dem Esper und dem Riesencomputer, an deren Ende Powell mit leeren Händen dasteht: Moses verkündet, dass die Indizien nicht ausreichen, um Reich überhaupt anzuklagen. Powell hat scheinbar verloren, denn er hat bereits alle Indizien angeführt, die er überhaupt nur aufbieten konnte. Er weiß: Neue wird er nicht mehr finden. Es sieht so aus, als hätte Reich gewonnen - als würde der Mord, den er begangen hat, ungesühnt bleiben. Nun kann er scheinbar damit beginnen, mit seinem Megakonzern gleichsam die Weltherrschaft anzutreten. Und wie es aussieht, kann ihn niemand mehr aufhalten ...
Ich könnte die Inhaltsangabe von Demolition an dieser Stelle noch ein ganzes Stück weit fortsetzten, aber damit würde ich potentiellen Lesern dieses sehr guten Romans die Spannung nehmen. Und spannend ist Besters Werk allemal. Vor allem aber ist es unglaublich dicht geschrieben: Die Handlung ist super-komplex, und man muß höchst aufmerksam lesen, um alles mitzubekommen. Und das Ende des Romans sowie der Weg, der letztlich dorthin führt, gehören zum Krassesten, das ich jemals gelesen habe - und das durchaus nicht nur innerhalb der SF.
Die Charaktere sind wahre Gigantenfiguren: So wird Reich nicht nur im Verlauf des Romans mehrfach als charismatische Persönlichkeit bezeichnet, der trotz seiner Härte in der Lage ist, Menschen für sich einzunehmen; nein, es wird nicht nur gesagt, Reich sei charismatisch, sondern Bester gelingt es beinahe schon zu gut, ihn auch charismatisch darzustellen. Wäre Reich kein kaltblütiger Mörder - und letztlich ist jeder Mörder kaltblütig -, würde auch ich von Reichs Ausstrahlung so sehr eingenommen sein, dass er mir richtig sympathisch wäre.
Auch sein Gegner Lincoln Powell ist ein bemerkenswerter literarischer Charakter: Angefangen von der Herausforderung, die er in dem ersten Mordfall seit 70 Jahren sieht, über sein engagiertes Vorgehen, um Reich zur Strecke zu bringen, bis zum beeindruckenden Ende kann man gar nicht anders, als seinen Weg gefesselt zu verfolgen. Powell ist intelligent, willensstark und kommt absolut überzeugend rüber.
Selbst die Nebencharaktere sind elaboriert ausgearbeitet, haben Hand, Hirn und Fuß und überzeugen auf der ganzen Linie. Besonders hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf die Nebenfigur Jerry Church, einen kleinen ebenfalls telepathisch begabten Pfandleiher, der vor ein paar Jahren mal einen Auftrag für Reich ausgeführt hat und von der Polizei erwischt wurde. Church taucht in der Handlung an mehreren wichtigen Stellen auf und ist absolut überzeugend dargestellt. Ich kenne Romane, bei denen selbst die absolute Hauptfigur diesem Jerry Churc? gegenüber zur völligsten Schattenhaftigkeit verblaßt.
Besonders beeindruckend wirken sämtliche Figuren dann, wenn man bedenkt, wann der Roman geschrieben wurde. In den frühen 50er Jahren zeichnete sich die SF nämlich eher dadurch aus, daß sie zwar oft völlig neuartige, ja, bahnbrechende Ideen vermittelte, die in ihr agierenden Menschen jedoch meist über schablonenartige Namenträger nicht hinauskamen. Dies betrifft auch und gerade solch unbestrittene Giganten der SF wie Asimov, Clarke und Heinlein.
Ich könnte hier noch eine ganze Zeit lang weiter schwärmen - so zum Beispiel über eine Party im zweiten Kapitel, bei der nur Esper anwesend sind. Sämtliche Dialoge werden dabei von den Anwesenden nur gedanklich gehalten, was beim Lesen ein auf den ersten Blick zwar grotesk erscheinendes Bild evoziert, das aber letztlich einfach nur überzeugend ist: Auf einerParty, auf der nur Esper anwesend sind, würde schließlich kein Wort gesprochen werden müssen. Die Teilnehmer dieser Party stehen also alle stumm herum; ihre gedanklichen Dialoge sind zwar natürlich wiedergegeben, doch sind diese eben lautlos.
Bester holt aus dieser Situation literarisch alles heraus; so greift er an mehreren Stellen bei der Beschreibung dieser Party auf ungewöhnliche typographische Figuren zurück, um dem Leser schon graphisch klarzumachen, wie ein Esper das typische Partygemurmel wahrnehmen würde. Ich komme nicht umhin, diese überzeugende Darstellung zu bewundern.
Hat der Roman Schwächen? Nun - ja, aber man muß schon danach suchen. Man könnte vielleicht sagen, daß die Handlung schon zu komplex ist und man wirklich bei fast jeder Nebenfigur ständig hoch aufmerksam bleiben muß, weil sie sich an einer späteren Stelle des Romans noch einmal als wichtig herausstellen könnte. Da aber die Handlung nicht trotz dieser Tatsache, sondern gerade wegen ihr in sich stimmig bleibt, kann dieses Argument nur eingeschränkt gelten. Was mich gestört hat, ist die vielleicht unnötig drastische Darstellung des Mordes an D'Courtney durch Reich. Zum einen hätte ich die Folgen eines Kopfschusses so genau gar nicht beschrieben haben wollen. Und zum anderen wird der Mord an einer späteren Stelle des Romans noch einmal aus einer anderen Sicht beschrieben. Das war mir dann doch ein wenig zu viel des Schlechten.
Ich muß an dieser Stelle auch noch auf die titelgebende Demolition zu sprechen kommen. Es handelt sich dabei wie gesagt um die Bestrafung, die einem Mörder in der Welt, in der Besters Roman spielt, droht.
Ich will hier nicht verraten, ob Reich dieser Strafe unterzogen wird oder nicht; auf jeden Fall wird am Ende des Werkes noch preisgegeben, worin die Demolition genau besteht. Und ich muß sagen, daß mir diese Strafe selbst für einen Mörder unangemessen brutal zu sein scheint. In diesem Zusammenhang bin ich mir leider nicht ganz sicher, wie Bester zu der Demolition steht: Befürwortet er sie - damit hätte ich ein Problem -, ist sie ihm egal - das wäre mir bei ihrer Brutalität auch noch zu wenig, stellt sie doch obendrein das namensgebende Sujet des Romans dar -, oder ist Bester letztlich ein Gegner der Demolition - wofür ich zwar keine wirklichen Beweise finde, aber in diesem Falle entscheide ich in dubio pro reo.
Unter dem Strich b?eibt eines der besten Stücke Telepathen-SF, die ich kenne: eine einmalig durchdachte Handlung, in der wirkliche Menschen agieren, die um Welten überzeugender sind als all die Pappcharaktere, die in vielen Werken von Besters Schriftstellerkollegen, die in etwa zur selben Zeit geschrieben wurden, zu finden sind.
Ich kann nicht anders: Ich bin begeistert von diesem Roman und neugierig geworden auf mehr von Bester!
9 Punkte von 10.
(30.08.1999)
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