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Titel: Das wahre Wesen der Dinge Eine Besprechung / Rezension von Alexander Pechmann |
Nach dem Erfolg des Storybandes „Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes“ veröffentlicht der kleine, feine Golkonda Verlag nun acht weitere Erzählungen des amerikanischen Science-Fiction-Autors, der hauptberuflich in der Software-Industrie arbeitet und bereits zahlreiche Auszeichnungen für sein Werk eingeheimst hat.
Schon die erste Erzählung des Bandes beweist, dass er diese Preise voll und ganz verdient hat. In „Verstehen“ entwickelt ein Mann, der nach einer Hirnverletzung mit einer neuartigen Hormontherapie behandelt wird, eine überragende Intelligenz, die ihm neue Erfahrungen und ungeheure Möglichkeiten eröffnet. Chiang beschreibt aus der Perspektive eines „Übermenschen“ vollkommen glaubhaft und ungemein spannend, welche persönlichen und moralischen Konsequenzen sich aus seinen neuen Fähigkeiten ergeben. Die Erzählweise Chiangs ist hier noch vergleichsweise konventionell, doch das Besondere an seinen Texten ist, dass er immer wieder neue Erzählformen ausprobiert. Eine Kurzgeschichte wird in Form eines redaktionellen Beitrags eines Wissenschaftsmagazins präsentiert, eine andere als Beitrag in einem Ausstellungskatalog, eine dritte ist ein Brief aus der Zukunft, der vor einer Maschine warnt, die beweisen wird, dass der Freie Wille nicht existiert. Alle diese Texte stecken voller boshafter Pointen und Überraschungen, beginnen mit einer phantastischen Idee und spielen diese konsequent bis zum Ende durch.
Chiang begibt sich dabei manchmal an die Grenze zur Gesellschaftssatire, zum Beispiel wenn er in „Die Wahrheit vor Augen“ Studenten darüber diskutieren lässt, wie ein Mittel, das die Wahrnehmung von Attraktivität und Schönheit unterbindet, um weniger attraktive Personen nicht zu diskriminieren, ihr Leben beeinflusst. Ein bissiger Kommentar zu den Auswüchsen der Political Correctness, der den umstrittenen „Sexismus“ um den Begriff des „Lookismus“ erweitert, ohne dabei über die hinter diesen Trends stehenden Bedürfnisse zu urteilen oder zu spotten. Das Verdienst des Autors ist vielmehr, die Komplexität hinter dieser und anderen gesellschaftlich oder moralisch relevanten Fragen auf sehr unterhaltsame Weise sichtbar zu machen.
Ted Chiangs Storyband ist ein Fest für Liebhaber anspruchsvoller und intelligenter Science-Fiction-Geschichten und dürfte auch Leser begeistern, die ansonsten mit Genre-Literatur wenig anfangen können.