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Titel: Das Mädchen mit den gläsernen Füßen Eine Rezension von Sonja Buddensiek |
Er drehte den Kopf auf die Seite und sah, dass ihre Augen sich unter den Lidern schnell bewegten. Er blieb wach und dachte darüber nach, wie sehr dieser Moment der Zeit glich, die in einem Foto gefangen war. Dieser Moment würde für immer in völligem Stillstand verharren. Nachdem er den Gedanken eine Weile genossen hatte, glitt er in den Schlaf hinüber.
Inhalt:
Ida kehrt zurück nach St. Hauda's Land, einem tristen, einsamen Ort voller eigentümlicher Bewohner. Aber sie muss herausfinden, was mit ihr geschieht - denn kurz nach ihrem Urlaub auf der kleinen Insel begann sie, sich von den Füßen aufwärts in Glas zu verwandeln. Was wird passieren, wenn es sich nicht aufhalten lässt?
Durch Zufall begegnet sie eines Tages Midas, einem ruhigen, verklemmten Jungen, der sie jedoch sofort fasziniert. Er ist der erste, dem sie ihr Geheimnis anvertraut und gemeinsam versuchen sie, herauszufinden, was vor sich geht. Doch dass sie sich in Eis verwandelt, ist nicht das einzige Seltsame, das auf St. Hauda's Land vor sich geht...
Buchaufmachung:
Die Aufmachung dieses Buches ist so anders als die vieler anderer, dass man es schon allein deswegen haben muss. Das Cover kommt komplett ohne die konventionellen Mittel aus - mit einem wunderschönen, hellblau-grauen Hintergrund und wunderschönen schwarzen Naturelementen, die hervorstechen, gibt es die zauberhafte Atmosphäre toll wieder. Und mit dem silberfarbenen Buchrücken ist das ganze Werk ein einziger Eyecatcher. Tolle Arbeit!
Meine Meinung:
"Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" hat hohe Wellen voller positiver, schwärmender Rezensionen geschlagen. Ich wusste schon beim ersten Blick auf Cover und Klappentext, dass ich es haben muss. Und das Buch ist wunderschön, atemberaubend, aber auch anders als man es erwarten könnte.
Ida verwandelt sich in Glas. Das weiß sie, seit sie eines Morgens nach dem Joggen einen Glassplitter in ihrem Fuß entdeckte, der sich nicht entfernen ließ und wuchs. Mittlerweile ist sie schon bis zu den Knöcheln durchsichtig. Und das macht ihr Angst. Als sie auf St. Hauda's Land Midas begegnet, weiß sie, dass er anders ist. Dass zwischen ihnen eine Verbindung besteht. Es entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte voller Problematiken - und die größte davon ist wohl, dass sich das Glas einfach nicht aufhalten lassen will...
Ali Shaws Schreibstil ist passend zur Geschichte absolut zauberhaft, bildreich und auch ein wenig ausufernd. Normalerweise bin ich kein Typ für lange Umgebungsbeschreibungen, aber der Autor schafft das auf eine so fesselnde Weise, dass grade diese Sequenzen immer wieder ein Erlebnis sind. Die Gefühle der Figuren bringt er gleichzeitig so nah, dass sie regelrecht greifbar werden, ja, schon fast real, und das erweckt neben der ansonsten so phantastische Geschichte ein beinahe schon seltsames, aber schönes Gefühl. Das Einzige, was mich störte, war die Verwendung des Wortes "monochrom", das meiner Meinung nach zu oft vorkam.
Midas und Ida sind zwei komplett verschiedene Charaktere, die aber zusammenpassen wie Puzzleteile. Er ist schüchtern und verklemmt, seine Beziehung zu seinen Eltern stark belastet, seinen toten Vater hasst er dafür, dass er nie Emotionen zeigte. Dass er in gewisser Weise genauso geworden ist, merkt er nicht oder will er sich nicht eingestehen. Ida ist da anders - lebensbejahender, direkt, nicht auf den Mund gefallen. Sie will Midas aus seinem Schneckenhaus herausholen und kämpft dafür. Sie wirkt durch ihre Offenheit aber auch sehr verletzlich, ja, schon fast zerbrechlich, und in ihrer Angst vor dem Glas berührend menschlich.
Aber die beiden sind nicht die einzigen Figuren, die von ihrer Welt erzählen. Henry Fuwa, der eigenbrödlerische Einsiedler, in den sie große Hoffnungen setzen, der aber einfach keinen Weg weiß. Carl Maulsen, der Mann, der Idas Mutter liebte und nun versucht, wenigstens für die Tochter da zu sein, dabei aber in vielerlei Hinsicht scheitert. Allerdings gefielen mir diese Kapitel lange nicht so gut wie die über die beiden Hauptfiguren, denn die anderen Geschichten erschienen mir manchmal ein wenig unwichtig und vergangen.
Die Atmosphäre des Buches ist die ganze Zeit über melancholisch-traurig, hat aber auch ihre lichten Momente voller Hoffnung und Zuversicht. Die Liebesgeschichte zwischen Midas und Ida entwickelt sich langsam, ist zart und zerbrechlich wie die beiden selbst. Sie versuchen, einen Weg zu finden, das Glas aufzuhalten, doch es ist schwieriger als gedacht. Währenddessen baut Shaw noch andere Elemente ein: alte, vergangene Liebesgeschichten, kleine, geflügelte Rinder, ein Wesen, das mit einem Blick alles in Weiß verwandeln kann. Keines davon wird näher erklärt oder letztendlich aufgelöst, was manchen komisch erscheinen mag. In gewisser Weise ist es aber genau richtig so.
Mit dem Voranschreiten von Idas Krankheit baut sich auch die Spannung immer weiter auf, ich war gefesselt, gebannt und konnte mich nicht mehr losreißen. Gibt es ein Heilmittel und werden sie es finden?, fragte ich mich die ganze Zeit. Die Hoffnung von Midas griff auch auf mich über, und sie blieb auch bestehen auch, als das Glas immer schneller wurde. Der Schluss ist dann dennoch überraschend, wieder melancholisch, aber so schön und so bewegend, dass es nicht mehr loslässt. Ein toller Abschluss, der nachdenklich zurücklässt.
Fazit:
Ali Shaws Debüt "Das Mädchen mit den gläsernen Füßen" ist anders als die sonstigen Bücher des Fantasy-Genres. In seiner ruhigen, bezaubernden Art hebt es sich stark ab und wirkt sanft und traurig. Der wunderschöne Schreibstil trägt sein Übriges dazu bei, ebenso wie die Figuren. Ein wunderschönes Werk, dem auch die zwei minimalistischen Kritikpunkte keinen Abbruch tun. 5 Punkte!