Serie/Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Race Cargill [Wie kommen amerikanische Autoren nur immer auf solche Vornamen?] war dreizehn Jahre lang der Top-Agent des terranischen Geheimdienstes auf dem Planeten Wolf. Dann lieferte er sich mit seinem besten Freund, dem einheimischen 'Dry-towner' Rakhal Sensar, ein rituelles Duell bis aufs Blut und war fortan für seinen Arbeitgeber nur noch als Innendienst-Mitarbeiter zu gebrauchen. Nach langen Jahren des Däumchendrehens hat Cargill nun genug von seinem eintönigen Leben. Er besteigt eine Rakete und will alles, was ihm lieb und wert ist, hinter sich zurücklassen. Wie konnte es nur dazu kommen?
Race wuchs mit seiner kleinen Schwester Juli als Waise auf Wolf auf. Der Vater, ein irdischer Astronaut, war bei einer Schiffskatastrophe umgekommen. Der Planet wird von verschiedenen intelligenten Spezies besiedelt, u.a. von den menschenähnlichen 'Dry-towners'. Schon als Jugendliche verdingten sich Race und Rakhal Sensar für den Geheimdienst. Dann, nach dreizehn erfolgreichen Jahren, ließ Sensar einen großen Auftrag platzen und sagte sich von der Erde los. Es kam zum Duell, und seitdem stand zwischen den ehemaligen Freunden eine Blutfehde, die Race dazu zwang, sein Leben weitgehend auf die Räumlichkeiten der terranischen Enklave auf Wolf zu beschränken. Überall sonst wäre er Gefahr gelaufen, umgebracht zu werden. Er selbst wiederum konnte später keine Rache nehmen, da er damit seiner Schwester Juli den Mann und Vater ihrer Tochter genommen hätte.
Erst als Race schon angeschnallt im Raumschiff sitzt, nehmen die Dinge eine unerwartete Wendung. Juli erscheint völlig aufgelöst im Raumhafen und berichtet, Rakhal habe die gemeinsame Tochter Rindy entführt. Er sei Leuten auf der Spur gewesen, denen es gelungen sei, eine funktionierende Materietransmitter-Technologie zu entwickeln. Sein Verhalten habe in der letzten Zeit immer groteskere Züge angenommen, bis er schließlich mitsamt der Tochter spurlos verschwunden sei. Race wirft natürlich seine Pläne über den Haufen und macht sich sofort auf die Suche, unterstützt von seinen Vorgesetzten, die nur allzu gern die neue Technologie in die Hände bekämen. Es beginnt eine (überschaubar lange) Suche, bei der die verschiedenen nicht-humanen Spezies Wolfs, zwei genauso schöne wie gefährliche Zwillingsschwestern, der Kult des Krötengottes sowie ein schurkischer Schmugglerring wichtige Rollen spielen.
The Door Through Space ist die 1961 erschienene erweiterte Fassung von Marion Zimmer Bradleys Erstling Bird of Prey aus dem Jahre 1957, der 1959 auch in deutscher Übersetzung unter dem Titel Raubvogel der Sterne erschien. In ihrem Vorwort von 1961 schreibt Bradley, sie interessiere sich nicht für Hard-SF mit der Betonung auf 'Science'. Darum schreibe sie lieber "science-fantasy adventures" über "the wonder and color of the world way out." Literarisch ist der Roman ein typisches Produkt seiner Zeit. The Door Through Space erschien 1961 mit einem anderen Roman Rücken an Rücken gebunden als Doppelband. Das bedeutete, dass das Buch zwei Titelseiten besaß und man es nach der Lektüre des ersten Romans umdrehen musste, um mit dem zweiten Werk wieder von vorn zu beginnen. Außerdem war bei dieser Publikationsform die Seitenzahl streng begrenzt - und das sieht man The Door Through Space deutlich an. Die Handlung ist schnell hingeworfen und die Todfeindschaft zwischen den beiden Rivalen Cargill und Sensar arg konstruiert. Auch das Objekt ihrer Begierde, die Technologie des Materietransmitters, ist nicht viel mehr als ein schlampig erdachter Hitchcockscher 'MacGuffin', also nur Vorwand, um die Handlung am Laufen zu halten. Auch stilistisch hat der Roman wenig Anspruchvolles zu bieten. Textpassagen wie die folgende finden sich immer wieder und wirken heute unfreiwillig komisch:
"On Wolf, Terran law has been written in blood and fire and exploding atoms; and the line is drawn firm and clear. The men of Spaceforce do not interfere in the old town, or in any of the native cities. But when violence steps over the threshold, passing the blazon of the star and rocket, punishment is swift and terrible."
Warum habe ich dieses Buch also überhaupt gelesen? Nun, einerseits finde ich gerade den stilistischen Schwulst alter SF-Romane manchmal komisch. Darüber hinaus sind solche Bücher meist sehr leicht lesbar und viel zu kurz, um mich ernsthaft zu langweilen. Und, zu guter Letzt, ist da noch die historische Dimension. Das Buch erschien in seiner ersten Fassung vor nunmehr fünfzig Jahren, in einer Gesellschaft, die sich kulturell von der unsrigen in vielem unterscheidet - wie wirkt sich das aus? Außerdem war Bird of Prey (ein Jahr vor dem ersten Darkover-Buch) das Romandebüt einer Autorin, die bald den bekanntesten Zyklus von Planetary Romances der SF-Geschichte verfassen sollte. Der Planet Darkover wird im vorliegenden Roman tatsächlich einmal erwähnt: Race Cargill benutzt unterwegs Pferde, die von Darkover importiert wurden. Außerdem findet man auf Wolf den allen Darkover-Lesern wohlvertrauten exterritorialen terranischen Raumhafen, und auch Cargills Vorbereitungen auf seine Sternenschiffreise habe ich so ähnlich schon bei Bradley gelesen.
Ansonsten fallen an The Door Through Space noch drei Dinge ins Auge: die Parallelen zwischen terranischer und (realer) US-amerikanischer Außenpolitik, die Ähnlichkeiten zwischen Dry-towners und Arabern sowie, damit verbunden, Bradleys überraschende Freude an sado-masochistischen Szenen. Doch der Reihe nach: Die von Dry-towners bewohnten Wüstenstädte Wolfs wurden jahrtausendelang streng von feudalen Herrscherfamilien regiert. Seit die Terraner mit ihrem kapitalistischen 'Terran Way of Life' eintrafen, genießen nun aber immer größere Bevölkerungsschichten bescheidenen Wohlstand und entdecken die Freuden des Massenkonsums, was absehbar die Grundlagen der Feudalherrschaft erodieren wird. Genau dies ist von den irdischen Neuankömmlingen auch so bezweckt. Warum sollen sie Armeen schicken, wo sie einen Planeten langfristig sogar auf profitable Weise dem Reich einverleiben können? Zweifel an der Richtigkeit ihrer Mission kommen den Terranern dabei nicht. Sie glauben, in bester Absicht zu handeln. Bradley problematisiert diesen Konflikt durchaus kritisch. Ihr Sprachrohr dabei ist in Kapitel 9 (von 15) 'Zwillingsschwester 1'. Dallisa, so heißt die Frau, ist die stolze Tochter einer Rasse, für die Ehre fast alles bedeutet, bei der Blutfehden an der Tagesordnung sind und die sich so kleidet, wie wir uns Klischee-Araber eben so vorstellen. Als I-Tüpfelchen existiert bei Dry-towner-Frauen noch die Tradition, ihr Leben mit symbolisch zusammengeketteten Händen zu verbringen.
Als ich dies las, glaubte ich in Bradleys Erstling einen Vorläufer von Betty Mahmoodys Nicht ohne meine Tochter zu erkennen (die Älteren unter uns erinnern sich sicher an diese Fundamentalistischer-Moslemvater-entführt-kleines-Mädchen-Geschichte), doch ich irrte mich. Rakhal Sensar war dann doch einer der 'Guten'. Außerdem verschob sich der inhaltliche Schwerpunkt bald völlig: Race Cargill verfiel auf die Idee, sich von Dallisa bis zur Bewusstlosigkeit foltern zu lassen (damit verbrachte Dallisa das ganze Kapitel 8). Anschließend verbrachten beide Kapitel 9 im Bett mit angenehmeren Beschäftigungen. In Kapitel 15 schließlich lässt Bradley ihren Roman folgendermaßen enden:
I understood the desire to keep their women under lock and key (...) I vowed to myself as we [d.h. Race und 'Zwillingsschwester 2', Miellyn] went that I should waste no time finding a fetter shop and having forged therein the perfect steel chains that should bind my love's wrists to my key forever.
Natürlich benutzt der Ich-Erzähler Cargill vordergründig die Handketten hier als Symbol für die baldige Eheschließung. Wenn man aber berücksichtigt, wie verhasst eben diese Ketten Cargill das ganze Buch hindurch waren, kommt dieses Ende überraschend. Genauso überraschend wie das schon erwähnte Kapitel 8, das ich nicht vor 1980 in einem SF-Roman erwartet hätte. Womöglich dachte sich Bradley beim Schreiben: "Na, wenn das nicht die Auflage steigert!" Vielleicht formulierte sie aber auch eigene masochistische Tagträume aus oder verstand sich als Vorkämpferin für unorthodoxe Sexpraktiken. Wer weiß...
[Schlussanmerkung: Grundlage dieser Rezension war eigentlich das E-Book, das sich jedermann gratis von der Homepage des amerikanischen Project Gutenberg herunterladen kann.]