Serie/Zyklus: Heyne: Meisterwerke der Science Fiction Besprechung / Rezension von Oliver Faulhaber |
Das Orakel vom Berge bedeutete für Dick den schriftstellerischen Durchbruch - und zwar nicht nur innerhalb des SF-Genres. Es dient noch heute als Paradebeispiel für die vielen Bücher, die sich mit den etwaigen Folgen eines Siegs Hitlers im II. Weltkrieg beschäftigen. Jedoch legt der Autor hier eher Wert auf die individuelle Welt der Hauptcharaktere als auf die globale politische Lage.
So bricht zum Beispiel für Robert Childan, einem in San Francisco - wie auch die übrige Westküste unter japanischer Jurisdiktion - lebenden Antiquitätenhändler, gleich zu Beginn eine Welt zusammen: Die bei den japanischen "Besatzern" so beliebten authentischen amerikanischen Kunstgegenstände, Haupteinnahmequelle Childans, stellen sich teilweise als Fälschungen in beinahe schon industriellem Maßstab heraus ... öffentlich bekannt, würde das seinen Ruin bedeuten.
Wie viele seiner Landsleute hat sich auch Childan den Umständen nach dem Krieg angepaßt, und so gehören sowohl die japanischen Wertevorstellungen als auch das I Ching (eine Art Orakel mit jahrtausendealter Tradition) untrennbar zu seinem Leben. Und ebenso wie die Masse der Amerikaner hat er den Glauben an sich selbst verloren, buckelt vor den Japanern und sieht sich verglichen mit ihnen nur als "Barbar". So verwundert es nicht, daß ein Buch zum allgemeinen Gesprächsstoff wird, das sich mit einem Sieg der Allierten und seinen Folgen auseinandersetzt. Dieses Buch benutzt Dick als Mittel, um eine weitere alternate history zu entwickeln - denn die Geschichte des Buchs ist keineswegs die unsere.
Childan bildet zwar einen Knotenpunkt, auf den die meisten der zahlreichen Handlungsstränge früher oder später treffen, jedoch steht er keineswegs im Mittelpunkt. So beschäftigt sich Dick auch mit Mr. Togomi, einem hohen japanischen Beamten, der unfreiwillig in eine politisch überaus prekäre Lage gerät und für den schließlich auch eine Welt zusammenbricht. In all dies eingebunden ist noch die verworrene Situation im Nazi-Deutschland nach dem Tod des Führers, sowie innenpolitische Kämpfe, die das Schicksal der ganzen Welt beeinflussen können ... und wie so oft in Dicks Büchern lautet die Frage am Ende: Was ist Illusion und was Realität?
Urteil: Selten fiel mir die Bewertung eines Buches so schwer wie im vorliegenden Fall, denn obwohl der literarische Anspruch über jeden Zweifel erhaben ist, mangelt es Dick an der Fähigkeit, den Leser zu fesseln - jedenfalls in meinem Fall. Das immer wiederkehrende Motiv der in Frage gestellten Wirklichkeit, sowie die teils seitenlangen philosophischen Passagen erschweren das Lesen, und auch die zeitweise recht "künstlich" (künstlerisch?) wirkenden Dialoge tragen nicht gerade zu einem Lesefluß bei.
Auf der anderen Seite jedoch kann man dem Buch eine gewisse Faszination nicht streitig machen, zu plastisch und glaubwürdig schildert Dick die Zustände im unter japanischen Einfluß stehenden San Francisco, und zu geschickt verknüpft er die einzelnen Handlungsstränge. Sein Kunstgriff mit dem Buch im Buch, aber auch die Einbindung des I Ching verleihen dem Orakel vom Berge einen ganz besonderen Flair. Allerdings sollte man zumindest in den Grundzügen mit den politischen Gegebenheiten Nazi-Deutschlands vertraut sein, um die inneren Zusammenhänge vollständig zu durchschauen.
Liebhaber der seichten Unterhaltung werden somit wohl nicht auf ihre Kosten kommen - allen anderen sei es aber ans Herz gelegt, um sich selbst ein Bild zu verschaffen.
Bewertung: 7 von 10 Punkten