Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Rainer Skupsch |
Der ebenso steinreiche wie exzentrische amerikanische Privatgelehrte Hunter Hawk, 37, verbringt einen guten Teil seiner Tage damit, bei tollkühnen Experimenten auf seinem Landsitz Mobiliar, Fenster und Wände seines Laboratoriums in die Luft zu jagen. Nach Jahren hoher Renovierungskosten gelingt ihm dann doch noch der ganz große Wurf: Er entdeckt das Prinzip der "Zellularversteinerung durch atomare Desintegration." Oder, plastischer ausgedrückt: Er kann fortan nach Belieben Menschen zu Säulen versteinern und diesen Vorgang wieder rückgängig machen. Hunter startet sogleich einen Feldversuch und bringt fürs erste alle widerlichen Schmarotzer seiner Verwandtschaft zum Schweigen, die sich seit einiger Zeit bei ihm eingenistet haben.
Durch diese Tat in abenteuerliche Stimmung versetzt, schnappt er sich zwei Flaschen edlen Burgunders aus seinem Weinkeller und begibt sich auf einen nächtlichen Spaziergang durch Wald und Flur. Dabei trifft er bald inmitten eines Maisfeldes auf einen seltsamen Herrn in Not: Ludwig Turner, etwa 2400 Jahre alter Spross des "Kleinen Volkes" und, wie alle Vertreter seiner Rasse ein zwanghafter Kleptomane, sitzt seit Stunden neben einer edel bemäntelten Vogelscheuche und sieht sich aus Gründen der Tradition außerstande, den Strohkopf um seine Kleidung zu erleichtern. Hunter ist da gerne behilflich. Man kommt ins Gespräch, leert zügig die beiden Flaschen und beschließt, den netten Abend in Ludwigs Grotte fortzusetzen.
Gesagt, getan. Leider ist der Empfang in des kleinen Mannes feuchtem Heim erst einmal stürmisch. Megaera "Meg" Turner, die 900 Jahre blutjunge Tochter des Hausherrn, ist zuerst nicht entzückt über die Aussicht, für ihren Vater auf die Schnelle etwas Hochprozentiges 'aufzutreiben', aber die Neigung siegt dann doch über ihr leicht erhitzbares Temperament: Wann hätte ein Mitglied des Kleinen Volkes sich je die Gelegenheit zu einem harmlosen Mundraub entgehen lassen? Und sieht dieser schlaksige Lulatsch Hunter Hawk nicht einfach zum Anbeißen aus?
Zum ersten Mal seit einhundert Jahren wieder bis über beide Ohren verliebt, verschwendet Meg keine Zeit mit Prüderie und bahnt sich zielstrebig den Weg in Hunters Bett. Für den trinkfesten Forscher beginnen wilde Zeiten, zumal Meg auch einige Zaubertricks in petto hat: Sie vermag nämlich leblose Statuen zum Leben zu erwecken - und davon gibt's etwa im Metropolitan Museum of Art in New York eine ganze Menge...
Thorne Smith verfasste ab 1926 zahlreiche humorvolle Romane, die sich ausgezeichnet verkauften und ihm den Weg nach Hollywood ebneten. Dort wirkte er als Dialogautor an einigen Drehbüchern mit, bevor er 1934 mit erst 42 Jahren während eines Urlaubs in Florida den Folgen eines Herzanfalls erlag. Vier Romane Smiths wurden von Hollywood verfilmt: die zwei Topper-Bücher, mit Cary Grant, Verkehrte Welt, das Vorbild aller Körpertausch-Filmkomödien, sowie das Nachtleben. Außerdem gab Smiths postum erschienener Roman The Passionate Witch den Anstoß zu der erfolgreichen Fernsehserie Verliebt in eine Hexe.
Wenn man Smiths Romane liest, bemerkt man sogleich, wie viel die klassische Screwball Comedy ihm zu verdanken hat. Den deutschen Übersetzungen seiner Romane ist jeweils ein Personenverzeichnis vorangestellt, in dem alle auftretenden Charaktere recht eindeutig beschrieben werden. Im Fall von Das Nachtleben der Götter gibt es da z.B. mehrere "Widerlinge" und "Ekel", einen "allzu kreglen alten Genießer" oder ein "reizendes und kluges junges Mädchen". Womöglich stammen diese Verzeichnisse gar nicht aus Smiths eigener Feder (in der englischsprachigen Ausgabe fehlt eine solche Liste), aber sie zeigen doch zurecht, dass es in Smiths Romanen nicht um ausgefeilte, dreidimensionale Charaktere geht, sondern um Typen, die später noch für Jahrzehnte zum Standardrepertoire amerikanischer Filmkomödien gehören sollten. Smiths sympathischere Personen (also nicht die Idioten und Spießer, die es auch zu Genüge gibt) verfügen über jede Menge Sprachwitz, haben allzeit eine ironische (und manchmal auch kindische) Bemerkung zur Hand und sind kaum aus der Fassung zu bringen. Dabei sind sie auf eine Weise frivol und anzüglich, wie es Doris-Day-Filme leider nie waren.
Das Nachtleben der Götter besitzt all diese Eigenschaften und entwickelt dank ihrer besonders im ersten Drittel sowie gegen Ende, wenn es in der klassischen überdrehten Gerichtsszene drunter und drüber geht, einen beträchtlichen Charme. Leider reiht Smith zwischendurch oft recht beliebig Szenen auf 'Tortenschlachtniveau' aneinander und lässt den Alkoholpegel seiner Protagonisten selten unter zwei Promille sinken.
Bevor der Erfolg von Topper ihn 1926 davon erlöste, verbrachte Thorne Smith einige Jahre mit verhassten Bürojobs, die er annehmen musste, um seine Frau und seine zwei kleinen Töchter zu ernähren. In dieser Zeit begann er stark zu trinken, was womöglich das Weltbild beeinflusste, das er im Nachtleben entwirft. Smith behauptet von seinen Büchern:
"Like life itself my stories have no point and get absolutely nowhere. (...) They are almost as purposeless as a dignified commuter shaking an impotent fist after a train he has just missed."
Offenbar erwartet er nicht, durch seine Arbeit irgendetwas zu verändern. Trotzdem lässt er seine Charaktere oft als Sprachrohre Dinge diskutieren, die ihm am Herzen liegen. Vor allem sind das die Freiheit des Individuums bzw. die Scheinheiligkeit der Gesellschaft. Hunter Hawk ist steinreich. Erst dadurch kann er sich leisten, seine Exzentrizitäten auszuleben. "Wie kann ein Mann ... die wirklich liebenswerten Eigenschaften seines Charakters entwickeln, wenn er ständig befürchten muß, seine Arbeit ohne eigenes Verschulden zu verlieren?", fragt er sich (S. 281). An seiner Geliebten Meg sowie den zu neuem Leben erweckten Göttern gefällt ihm ihre reine Lebensfreude. Meg etwa ist gewiss kein Engel, dafür aber frei "von den verlogenen Konventionen des Alltags." (S. 85) Sie liebt Sex, weil der ihr gemeinsam mit Hunter viel bedeutet. Dass sie bei einer Gartenparty Probleme hat, nicht auf kopulierende, ehebrechende Paare zu treten, findet sie widerlich, weil diese Leute lediglich der neuesten Mode gehorchen.
Konventionen zeigen sich (außer im Wirtschaftssystem) noch in den gesellschaftlichen Druckmitteln der 'Moral' und der 'Sünde'. Den 18. Verfassungszusatz der USA (das Alkoholprohibitionsgesetz, das erst 1933 aufgehoben wurde) erklärt Smiths allwissender Erzähler für "unsinnig" (S. 318); "die sogenannte Sünde" ist laut Hunters Butler "das Betriebskapital der Religion" (S. 245), also eine Methode, die Menschen zu beherrschen. Exzessives Saufen wirkt da fast schon wie ein Befreiungsversuch, obwohl der Olympier Apollo nach Wochen des Dauerrausches einmal anmerkt, Hochprozentiges wie Whisky sei ein "beredter Kommentar zur Eintönigkeit des modernen Lebens." (S. 213)
Die verschiedenen Zutaten von Das Nachtleben der Götter summieren sich nicht wirklich zu einem harmonischen Ganzen, aber zwischen den mit Slapstick gefüllten Zeilen scheint bei Thorne Smith immer wieder die Melancholie des Humoristen durch.