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Reihe: Band 3 Eine Rezension von Judith Gor (Weitere Rezensionen von Judith Gor findet ihr hier auf fictionfantasy oder auf ihrer Website www.literatopia.de) |
Nachdem Lily in der Kathedrale der Verlorenen ihren sterbenden Vater vorgefunden hat, steigt sie in das Land Naru tief unter der Erde hinab. Die seltsamen Bewohner lauschen den Stimmen der Oberwelt, die aus mysteriösen Kristallen dringen. Sie sammeln Fakten und Wissen, verstehen aber die Zusammenhänge nicht. So wissen sie, wie viele Einwohner eine Stadt hat, dass es dort viele Gebäude gibt und andere Einzelheiten, doch was eine Stadt wirklich ist, begreifen sie nicht. Lily findet sich nur schwer zurecht, doch immerhin hilft ihr der Chorleiter beim Verstehen. Er führt sie auch zu dem geheimnisvollen Orakel, das alle Stimmen der Welt gleichzeitig vernehmen kann – und das die Antworten auf Lilys Fragen kennt …
Mark versteckt sich währenddessen in Agora vor den Schergen des neuen Direktors. Die Stadt steht am Anfang einer blutigen Revolution, die Mark und seine Freunde mit Sorge betrachten. Auch sie wollten Veränderungen, doch die ausbrechende Gewalt macht ihnen Angst. Zudem benutzen die Revolutionäre Lilys Andenken, um die Menschen gegeneinander aufzuhetzen. Als der Revolutionsführer stirbt, bricht die Hölle los – doch Mark und seine Freunde können das Chaos nutzen, um einen Weg zu Lily zu finden …
Während „Die Stadt der verkauften Träume“ mit schönen Ideen und einem unvergleichlichen Charme überzeugte, war „Die Kathedrale der verlorenen Dinge“ eine Enttäuschung. Es sah so aus, als hätte es David Whitley lieber bei einem Einzelroman belassen. Zwar glänzte auch der zweite Band mit originellen Einfällen, doch der Charme der Geschichte blieb auf der Strecke. Und auch in „Das Land des letzten Orakels“ will diese besondere Atmosphäre nicht mehr aufkommen, auch wenn sich hier viele Kapitel wieder deutlich besser lesen. Insbesondere die Szenen in Agora lassen etwas vom Charme des Auftaktbandes erahnen, doch die Revolution sorgt für viele Verwirrungen, die man immer noch nicht ganz nachvollziehen kann. Man versteht durchaus, warum sich das Volk auflehnt, doch um die Hintergründe betreffend den Tag des Urteils wird bis zum Schluss ein großes Geheimnis gemacht. Diese Geheimniskrämerei macht den Leser schließlich müde und als die Auflösung nahe ist, hat man das Interesse daran weitgehend verloren.
David Whitley überrascht auch dieses Mal mit skurrilen Einfällen, die man so noch nicht gelesen hat, doch es gelingt ihm nicht, diese spannend und charmant zu verpacken. Naru ist eine hoch interessante Welt, doch dem Leser fällt es schwer, eine Verbindung zu deren Bewohnern aufzubauen. Letztlich bleibt Naru ein bizarres Intermezzo in einer Trilogie, die wunderbar anfing und sich schließlich in unübersichtlichen Verwicklungen verloren hat. Der Autor hatte eine große Vision, die an ihrer Umsetzung scheitert. „Die Stadt der verkauften Träume“ kann, sofern man nicht alle Fragen beantwortet haben möchte, als Einzelroman gelesen werden. Die beiden anderen Teile der Trilogie hingegen eignen sich nur für Leser, die auch für die letzten Fragen unbedingt eine Antwort wollen und bereit sind, sich durch einen chaotischen Storyaufbau zu kämpfen. Es wird einfach zäh – und irgendwann versteht man auch Lily nicht mehr, die trotz aller Rückschläge weiter nach der Wahrheit sucht, die ihr wahrscheinlich gar nichts bringt.
Im Vergleich zum zweiten Band steht „Das Land des letzten Orakels“ allerdings etwas besser da. Während man am Ende des Vorgängers gar nicht wusste, wohin diese Geschichte noch führen soll, zeichnen sich nun immer deutlich die Hintergründe ab. David Whitley greift nahezu alle Handlungsfäden wieder auf und bringt sehr geschickt längst vergessene Charaktere wieder ein. Man fühlt sich seiner Welt wieder ein Stück weit verbunden, das Interesse flammt zwischenzeitlich immer wieder auf – dafür muss man sich jedoch durch Kapitel voll aufgesetzter Andeutungen rund um das Mitternachtsstatut kämpfen.
David Whitleys Trilogie ist vor allem für jene interessant, die gesellschaftskritische Fantasy gepaart mit außergewöhnlichen Ideen lesen möchten. Zwischen den Zeilen spielt der Autor immer wieder mit philosophischen Fragen, für die man Interesse aufbringen muss, um bis zum Schluss durchzuhalten. Vor allem Lily macht es dem Leser mit ihrem Drang zur Wahrheitsfindung reichlich schwer – sie überschreitet das gesunde Maß und irgendwann schüttelt man den Kopf über so viel Dickköpfigkeit. Andererseits ist sie schon so weit gegangen, dass ihr nur die Flucht nach vorne bleibt. Dass sie unbedingt die Wahrheit wissen muss, auch wenn diese sie zerstört. Diese Wahrheitssuche tritt so stark in den Vordergrund, dass das Setting samt Charakteren darunter leidet.
Fazit
„Das Land des letzten Orakels“ ist ein halbwegs versöhnlicher Abschluss einer Trilogie, die wunderbar begonnen und sich schließlich in einer zähen und wirren Umsetzung verloren hat. David Whitley überrascht auch dieses Mal mit originellen Ideen, die für den Leser jedoch schwer greifbar sind. Letztlich bleibt das Gefühl, etwas durchaus Außergewöhnliches gelesen zu haben – und dass es der Autor lieber beim ersten Band belassen hätte. 3,5 von 5 Punkten.