Tolkien-Themenseite Eine Rezension von Sandra Z. |
Vor 120 Jahren wurde ein Autor geboren, der mit seinem Lebenswerk den Grundstein des Fantasygenres gelegt hat. Ich spreche von John Ronald Reuel Tolkien, Professor für englische & altenglische Sprache und Literatur in Großbritannien und Autor eines der berühmtesten literarischen Werke aller Zeiten: die Geschichten rund um Mittelerde, die Geschichte des Rings und eines kleinen Hobbits namens Bilbo Beutlin. Vor 75 Jahren erschien sein für Kinder angedachtes Buch über die Abenteuer des Bilbo Beutlin im Allen & Unwin Verlag und wurde als Kinderbuch des Jahres angepriesen. Bis zur Veröffentlichung des Hobbit schrieb Tolkien mehrere verschiedene Fassungen, korrigierte, verwarf, benannte Charaktere um und fertigte unzählige Zeichnungen an. Der Mann war nicht allein Autor, sondern auch Künstler.
Heute abend um 20 Uhr ist es endlich soweit: Des Hobbits erster Teil von dreien, verfilmt von Peter Jackson, dem Regisseur des mehrfach oskarprämierten Epos »Herr der Ringe« kommt in die deutschen Kinos. Auch ich werde mich heute abend ins Tolkienfeeling stürzen und die Preview zusammen mit meinem Mann und Freunden genießen.
Tolkien ist Fantasy, Tolkien ist Legende
J.R.R. Tolkien hat ein fantastisches Universum, eine unvergleichliche Mythologie geschaffen, wie sie umfangreicher und phantasievoller kaum sein kann. Bevor ich mir also heute Abend das visuelle Erlebnis auf der Leinwand ansehe, das übrigens in prächtiger Dreidimensionalität und mit einer erhöhten Framerate von 48fps gezeigt wird – ich bin gespannt auf die Qualität – habe ich vor zwei Wochen begonnen, das Buch zu lesen. Doch nicht irgendein Buch…
Als ich mich vor ca. einem Monat in der Leserwelt anmeldete, wurde ich auf eine der Leserunden aufmerksam, die dort am 1. Dezember starten würde, zu genau eben jenem Buch, um das es hier heute sowohl visuell als auch gedruckt geht. Ich als Frischling im Forum bewarb mich sofort für die Leserunde und hatte, nachdem ich bewiesen habe, dass ich nicht nur ein “Bücherabgrabbler” und “Danachverschwinder” bin, das unglaublich große Glück, »Das große Hobbitbuch« zu gewinnen! Über dieses ganz besondere Schmuckstück, das ich hiermit auch zum Coverjuwel des Monats Dezember erkläre *Pokal überreicht und aufs Regal stellt* möchte ich euch nun hier und jetzt vorstellen!
"In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit!” Das sind die wohl bekanntesten ersten Sätze, die in die Geschichte des Hobbit eingingen. Vor Bilbo Beutlins Türe, ebenselben Hobbit, der in einer gemütlichen Wohnhöhle inmitten des friedlichen Auenlandes lebte, steht eines Tages Gandalf, alter Freund und Vertrauter. Doch er kommt nicht alleine, in seinem Gefolge purzeln – man mag es kaum glauben – dreizehn Zwerge in sein Haus! Bilbo staunt nicht schlecht, als Gandalf ihn zu einem Abenteuer bittet, ein gefährliches Abenteuer, denn der Weg soll sie nach Osten führen, in die karge Wildnis, zu den Ruinen der Stadt unter dem Berg, wo Smaug, ein gewaltiger Drache auf einem uralten Schatz thront und Angst & Schrecken verbreitet. Doch noch etwas bahnt sich an, der Himmel verfinstert sich, die Krähen fliegen über Mittelerde…
Als ich dieses wunderschöne Buch in Empfang nahm, glänzten meine Augen. In der Hand hielt ich ein etwa 25cm hohes und ca. 20cm breites gebundenes Buch, petrolfarben eingeschlagen, ein gelbes Lesebändchen lugte zwischen den Seiten hervor. »Das große Hobbitbuch – J.R.R. Tolkien« steht in großen goldglänzenden Buchstaben auf der Vorderseite des Covers, darunter befindet sich eine farbenfrohe Illustration Smaugs sowie der Hinweis, dass ich hier den kompletten Text des Hobbit mit Kommentaren und Bildern in Händen halte. Federführend für die Übersetzung war Douglas A. Anderson, der weltweit bekannteste Tolkienforscher und Literaturwissenschaftlicher. Anderson beschäftigte sich sehr intensiv mit Tolkiens Werk und brachte bereits 1988 eine ausführliche und kritische Textstudie zum Hobbit heraus.
Ich möchte euch nun aber nicht allzu viele Informationen vorweg nehmen, denn dieses Buch bietet einen sehr tiefen Einblick in Tolkiens Welt. Literarische Einflüsse – beispielsweise aus der nordischen Sage -, Erlebnisse auf seinen Reisen, u.a. in die Schweizer Alpen, Epochen wie das Mittelalter und Literatur, welche Professor Tolkien selbst sehr beeindruckt haben – hier seien William Morris und E.A. Wyke-Smith genannt – flossen in seine Idee für Mittelerde ein. Er schuf ein einzigartiges mythologisches Universum , angefangen von intensiven illustratorischen Studien & Kartenzeichnungen bis hin zur Poesie und der elbischen Runenschrift . Dieses Buch bietet nicht nur den vollständigen Text inklusive mehrerer Gedichte und Liedtexte, die in so mancher Übersetzung fehlten, sondern erweitert den Horizont eines jeden Hobbitologen gewaltig. Wer noch nicht allzu viel rund um diesen Autor weiß, der wird spätestens mit diesem Buch zwar nicht zum Experten, aber doch um sehr, sehr viel Wissen rund um Tolkien, sein Mittelerde, Gegenstände, Personen und Sprachgebrauch reicher sein.
Kommentiert, illustriert, inspiriert!
Zeitweise fiel es mir etwas schwer, der Handlung zu folgen und, sobald eine Fußnote auftauchte, selbige sofort zu lesen und somit an den Rand des Buches zu springen, auf welchem zahlreiche Kommentare zu Begriffen, Textstellen, Daten usw. in blauer Farbe kleingedruckt zu lesen sind. So begnügte ich mich schließlich damit, bis zum Ende eines Sinnabschnitts zu lesen und dann erst der Randanmerkung zu folgen. Zahlreiche Illustrationen, Schwarz-Weiß-Zeichnungen Tolkiens, aber auch von Illustratoren der verschiedensten weltweiten Ausgaben sind am Rand neben dem Haupttext zu bewundern und lockern das Gesamtbild des sehr dicht geschriebenen Werkes auf. Darunter sind auch Zeichnungen des begnadeten Künstlers Alan Lee, der als kreativer Kopf für die Verfilmung des Herrn der Ringe am Set von Peter Jackson arbeitete und die Vorstellungen des Regisseurs in Zeichnungen Farbe und Form verlieh. Mittelerde, wie sie im Film zu sehen ist, erhielt durch ihm erst seine Gestalt. So freue ich mich sehr, einige seiner Werke auch im Hobbit am Rand entdecken zu können. Ich möchte an dieser Stelle auch erwähnen, dass – ebenfalls bei Klett-Cotta Hobbitpresse – eine von Alan Lee illustrierte Ausgabe ebenfalls erhältlich ist (die ich übrigens meinem Mann zum Geburtstag schenken werde *zwinker* ja, ich darf auch mal “klammern”!)
Während man im Großteil des Buches wie oben beschrieben schwarz-weiße Zeichnungen verschiedenster Künstler findet – so zum Beispiel aus rumänischen, französischen, slowakischen oder portugiesischen Ausgaben des Hobbit – finden sich am Rande des Haupttextes auch handgefertigte Skizzen von Tolkien, Aquarellbilder die seine Vorstellung von Mittelerde darstellen sowie farbenprächtige Bildtafeln in der Mitte des Buches, auf deren 16 Seiten man die verschiedenen Cover der Hobbitausgaben seit 1937, Gemälde von Tolkien & Alan Lee, Karten & Skizzen des Professors sowie Bilder anderer namenhafter Künstler zum Thema bewundern kann.
Ich war zunehmend begeistert davon, wie tief man in die Gedankenwelt des Autors, seine Beweggründe und Inspirationen abtauchen konnte. Man liest den Hobbit viel intensiver & aufmerksamer, wenn man diese Ausgabe in der Hand hält. Es macht einen großen Unterschied, ob man einfach nur das Buch liest, oder sich nebenher zum Beispiel fragen kann, warum der Autor nun gerade hier dies und das erwähnt. Übrigens findet man auch einen psychologischen Ansatz im Text (Seite 287), den einzigen, wie Douglas A. Anderson anzumerken hatte. Dabei ging es um die Verwendung von Metaphern. Tolkien wusste geschickt zu kritisieren, dass der Leser verlernt hat, sich etwas vorzustellen, ohne es mit verschiedensten Wörtern zu umschreiben. Wortwörtliche Bedeutung und Metaphorik trennt Tolkien nicht. Wenn der Anblick Smaugs mit seiner diamantverkrusteten Haut Bilbo den Atem raubt, dann ist das wortwörtlich so und nicht als Metapher zu verstehen. Was ich damit sagen will:
Dieses Buch liest man nicht nur, man denkt darüber nach. Man reflektiert, sinniert, taucht tief ein. Ich wurde selten in ein Buch so hingesogen wie von diesem.
Im Anhang des Großen Hobbitbuches findet sich auch »Die Fahrt zum Erebor« ein Anhang der eigentlich ursprünglich im Herrn der Ringe seinen Platz finden sollte, dann aber aus Platzgründen nicht mehr eingebunden wurde und nun hier in dieser Ausgabe zu lesen ist. Dieser Text stellt die Geschehnisse noch einmal aus Gandalfs Sicht dar, warum wählte er Bilbo für die Reise zu Smaug aus, was hatte er so Dringendes zu erledigen, das ihn dazu veranlasste, die Zwerge mit Bilbo alleine ziehen zu lassen?
Ein paar wenige Kritikpunkte habe ich allerdings auch, doch diese beziehen sich nicht auf die Fülle an Informationen rund um das Buch, sondern auf Tolkiens Text selbst. Er spricht den Leser an. Er schreibt manches in Klammern. Gut, das ist nicht nur ungewöhnlich, es regte mich auch zeitweise doch ein wenig auf. Ich dachte mir dann so im Hinterkopf: “Ok, ein Tolkien darf das wohl einfach. Ob man das wohl heutzutage so schreiben darf?” Tja, diese Frage müsste ich nun einem Autor stellen, dem ein Lektor gründlich mit dem Rotstift durch sein Manuskript fuhr, sollte er es gewagt haben, eben solche Besonderheiten zu nutzen. Ich belasse es nun einfach mal dabei, dass diese Art zu schreiben, intelligent, sehr eloquent & mit gewisser Prise Witz & Humor, das Buch einzigartig macht. Daher kann ich mit ruhigem Gewissen nach Beendigung des Buches sagen, dass ich doch schmunzelnd in meiner Leseecke saß, als Tolkien mal wieder einen seiner “So, im nächsten Kapitel erfahrt ihr dann, wie es weitergeht“-Sätze zum Besten gab. Kleine Anmerkung noch: Die fehlende Textstelle am Ende des 6. Kapitels auf Seite 282 wurde übrigens auf einem Einlegeblatt ergänzt, auf dessen Vorderseite man eine Zeitungsanzeige des Allen & Unwin Limited Verlages aus dem Jahr 1937 betrachten kann. Ursprünglich musste man das fehlende Textstück aus dem Netz laden, das hat der Verlag nun auf diese wie ich finde elegante Weise gelöst.
Im Gegensatz zum Herrn der Ringe wirkt dieses Werk übrigens eher kindlich, ob das von Tolkien so beabsichtigt war, . Tolkiens Sprößlinge waren wie ich gelese habe auch sehr angetan vom Buch ihres Vaters. Der Herr der Ringe ist die epische Fortsetzung des Hobbit, das Buch eines Autors, dessen Schreiben reifer und noch tiefgründiger geworden war.
Was ich jedem nur empfehlen kann, der gerne mit Musik im Hintergrund liest: Hört euch den Soundtrack zum Hobbit von Howard Shore an ♥ einfach nur wunderschön!
Meine Wertung :5 von 5 Leseherzen