Titel: Das Exil der Königin Eine Rezension von Gloria Manderfeld |
Das Königinnenreich des Grauwolf-Geschlechts ist in Gefahr – die jahrhundertelang ausgeglichenen Machtverhältnisse zwischen der regierenden Königin und dem Magierrat schwanken, da der Hohemagier Bayar versucht, seinen Sohn Micah durch die Heirat mit Erbprinzessin Raisa auf den Thron zu bringen. Doch eine solche Heirat würde die dritte Machtfraktion im Königinnenreich zutiefst verärgern – die kriegerischen Clans in den Fells, aus deren Mitte auch der Vater der Erbprinzessin stammt. Um der ungeliebten Heirat zu entgehen und weitere politische Konsequenzen zu vermeiden, flüchtet Erbprinzessin Raisa vom Hof, nur begleitet von einigen Getreuen wie ihrem Kindheitsfreund und jetztigen Offizier der Wache, Amon Byrne, in den Raisa heimlich verliebt ist. Auf dem Weg zur Militärakademie in Odenfort, wo Raisa unter einem Tarnnamen angemeldet ist und eine militärische Ausbildung beginnen will, um den Häschern des Hohemagiers zu entgehen und wichtige Grundlagen für ihre spätere Regentschaft zu erlernen, muss der kleine Trupp durch ein vom Krieg zerstörtes Land reisen und begegnet einigen unerwarteten Gefahren – eine erste Bewährungsprobe für die sechzehnjährige Prinzessin.
Doch auch der andere Haupthandelnde der Erzählung, der ehemalige Streetlord Han 'Cuffs' Allister, hat einiges an Schwierigkeiten vor sich, um sein Ziel zu erreichen – die Magierakademie in Odenford, auf der er den Umgang mit seinen neu erlangten Fähigkeiten erlernen will. Begleitet von seinem Freund Dancer, einem Mitglied der Clans, wird auch Han von Hohemagier Bayar verfolgt, welchem er ein wertvolles magisches Amulett gestohlen hat (ohne ein eigenes Amulett ist kein Magiebegabter fähig, seine Kraft zu wirken, muss er doch das Amulett mit der in ihm wohnenden Kraft aufladen, um sie dann in einem Zauber kontrolliert zu entlassen) und muss oft genug Wege abseits der bekannten Straßen wählen, um seinen Häschern zu entgehen.
Dabei hat er ein dunkles Geheimnis – Hohemagier Bayars Rache für den Diebstahl und den dabei erfolgten Angriff auf sein Leben hat die Menschen in Hans unmittelbarer Umgebung das Leben gekostet, eine Schuld, die für ihn allgegenwärtig scheint. Auf Hans Reise trifft er auch noch auf eine alte Bekannte aus Straßenkindzeiten, die junge Diebin Cat, welche ebenfalls nach Odenford unterwegs ist, um dort bei der Tempelschule ihre musikalischen Fähigkeiten zu erweitern – als das Trio Odenford schließlich erreicht, muss Han feststellen, dass sein schlimmster Feind auch dorthin gefunden hat: Micah Bayar, der Sohn des Hohemagiers, der ebenso einige Freunde um sich geschart hat – und recht bald beginnt ein Konkurrenzkampf zwischen Han und Micah, der auch vor brutalen Möglichkeiten nicht halt macht. Durch Zufall begegnen sich auch Han und Raisa wieder – die Han bereits in der Königinnenstadt Southbridge unter ihrem Tarnnamen kennen gelernt hatte. Beide werden in einen Strudel an Politik und Intrigen gesogen, bei dem die Motive der Mitspieler kaum offen erkennbar darliegen und schließlich auf eine Katastrophe zusteuern…
An überraschenden Wendungen geizt die Autorin wahrlich nicht – die sich sehr abwechslungsreich entwickelnde Geschichte ist temporeich verfasst und lässt einen im Grunde am Ende jedes Kapitels mit der Frage zurück, wie es weitergeht, besonders da die beiden Haupterzählstränge um Han und Raisa abwechselnd weitergeführt werden. Geschickt werden beide Geschichten miteinander verknüpft, sodass sich beide auch bisweilen begegnen, ohne direkt mit dem anderen zu tun zu haben – die Erzählperspektive verbleibt dabei immer beim jeweiligen Charakter, was die Identifikation mit den Wünschen und des Handelnden sehr erleichtert. Auch die Konstruktion der Hintergrundwelt ist detailliert und besitzt genug eigene Ideen, dass ein purer Abklatsch von anderen Fantasywelten vermieden wird. Eine eigene Variation der Magiewirkung und der magischen Parallelwelt Aediion bringt neuen Wind in das Genre, auch scheinen die Bedingungen und Grundsätze des Magiewirkens brauchbar und durchdacht.
Kämpfe und handlungsdichte Situationen beschreibt die Autorin mit einem guten Maß an Detail, ohne zu sehr die eigene Vorstellungskraft des Lesers zu beschneiden, generell erfolgen Orts- und Kulturbeschreibungen auf einem Level, das die Kreativität des Lesers eher fördert und die Welt anschaulich vor dem inneren Auge entstehen lässt.
Das einzige wirkliche Manko der Geschichte tritt zutage, wenn man die Charaktere ein wenig genauer anblickt – es erscheint, als sei die Autorin sehr begeistert von ihrer weiblichen Hauptfigur Raisa gewesen, denn obwohl sie als sechzehnjährige und noch reichlich in der Pubertät befindliche junge Frau von ihren Gefühlen sehr stark bestimmt wird, wirken manche ihrer Erkenntnisse aus ihrem Unterricht und bei Begegnungen mit anderen Menschen sehr erwachsen, sie erreicht dabei ein Niveau aus Selbstkritik und Einsicht, das auch bei vielen Erwachsenen nicht vorhanden ist. Zudem scheint es wenig glaubhaft, dass im Grunde alle halbwegs für die Geschichte wichtigen männlichen Personen entweder für sie schwärmen oder in sie verliebt sind und sie sich im Grunde nicht so recht entscheiden kann, welchen sie nun wirklich will.
Auch bei Han ist die Hinwendung zum Studium und der rapide Abfall seiner Schuldgefühle in etwa der Mitte des Buches, nachdem sie zu Beginn teilweise überbetont wurden, nicht unbedingt glaubhaft – seine Fähigkeit zu lernen und das neu gelernte anzuwenden wirkt übermäßig, die Konzentration auf seine Arbeit für einen Sechzehnjährigen nicht glaubhaft. Sicher erwartet man bei Helden in einer Fantasygeschichte immer Außergewöhnliches, doch sollte doch vermieden werden, mögliche Schwächen zuerst deutlich zu machen und dann relativ wortlos beiseite zu schieben, um dem Fortgang der Geschichte nicht im Wege zu stehen. Vielleicht wäre es hier passender gewesen, das Alter der Charaktere auf ein glaubhafteres Niveau anzuheben. Mögliches Konfliktpotential zwischen den Verehrern Raisas wird zwar benutzt, aber nicht effizient ausgeführt, auch die Nebenhandlung um Cat und Dancer verliert im Fortschreiten mehr und mehr an Wichtigkeit und Einfluss auf das Geschehen. Insgesamt wirkt die Charakterisierung der handelnden Personen eher oberflächlich und nicht vollkommen durchdacht, wobei Potential verloren geht.
Auch der Titel des Buches wirkt etwas befremdlich, da es sich bei der Erzählung nicht um die Geschichte einer exilierten Königin, sondern Erbprinzessin handelt, auch das Coverbild mit einem an einer Kette hängenden Ring mag vielleicht grundsätzlich den Fantasycharakter treffen, hat aber absolut nichts mit dem Inhalt zu tun.
Fazit:
Gute Fantasy-Kost, die einem die Lesezeit angenehm zu vertreiben weiß, aber doch einige Fragen über die Hauptcharaktere zurück lässt. Da es sich um den zweiten Band einer Trilogie handelt, dürften Handlungsschwächen auch der Notwendigkeit zugeschrieben werden, die Erzählung auf den dritten Band hinzuführen. Wer nicht zu viele Sinnfragen stellt, wird gut unterhalten und kann in eine interessante Welt abtauchen. Sieben von zehn Punkten.