Titel: Darwins Schildkröte |
Die Anthologie begründet mit ihren Geschichten ein neues Subgenre der Science Fiction - die Toaster Fiction. Spätestens an dieser Stelle im Vorwort der Herausgeber sollte der Leser wissen, dass diese Geschichten nicht immer ganz ernst zu nehmen sind. Die Autoren agieren mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen, die die Macht übernehmen und Regeln bestimmen wollen, an die die Menschen sich zu halten haben. Aus den Gebrauchsgegenständen wie Toastern, Fernsehern oder Bügeleisen wurden bei den 31 Autoren, die das Thema aufbereitet haben, dann aber doch eine Mischung aus Science-Fiction-Geschichten, die darüber hinaus noch viel mehr zu bieten haben.
So beginnt Rainer Innreiter mit "Mitnehmen verboten" auch gleich mit einer Geschichte, in der er die Erfüllung des Wunsches der Menschen nach Zeitreisen pointiert darlegt. Er zeigt auf, dass dank hochentwickelter Technik und Manipulation Zeitreisen mehr oder weniger möglich werden. Andreas Flögel begibt sich in "Amazon 3" auf einen Weltraumfrachter und erzählt aus der Perspektive des Kapitäns, dass auch der Weltraum nicht vor Problemen mit der eigenen Verwandtschaft schützt. Uwe Hermann spinnt die Probleme mit unserem Gesundheitssystem weiter und bietet dem Leser eine beängstigende Vorstellung dessen, wie "Die Gesundheitswächter" in der Zukunft die Arbeit der Ärzte übernehmen.
Thomas Melerowicz greift das Thema Spiegelwelt auf. "Rentner Leo Spar und die moderne Physik" ist eine nette Geschichte zum Thema, die allerdings keine Überraschungen birgt.
Henning Pfeifer versetzt den Leser in eine apokalyptische Welt. "Kamikos bedrohen die Welt", und das in einer etwas verwirrenden Art. Olaf Trint erzählt in "Konstruktionsfehler" von denkenden U-Bahnen, wogegen Martin Skerhut in "Elfriede" Einzeller aus dem All vorstellt, die nach Macht streben. Auch Werner Vogels "Besuch bei Rabinger" stellt sich als außerirdisch heraus, aber die haben sich auf der Erde vorher schon genauer umgesehen und versuchen es mit Imitationen.
Markus Niebios verlegt den "Einsatz für Zack Hodan" wiederum ins All. Dort sorgen Nacktmullwesen für ein witziges Abenteuer.
In "Fehlfunktion" von Arnold H. Bucher geht es um ein Raum-Zeit-Paradoxon, dessen Sinn sich mir beim Lesen allerdings nicht gänzlich erschlossen hat. In "Aleph Null" erzählt Manuel Bianchi eine recht interessante Variante von Unendlichkeit, die am Ende aber doch auf Altbewährtes zurückführt. Er zeigt, dass die einfachsten Lösungen eben immer noch die besten sind.
Saven van Dorf nimmt sich in "Die Erfindungen des Mr. White" eines sehr brisanten Themas an. Im Minutentakt entwickelt sich die Technik weiter, neue Erfindungen überschwemmen und überfordern die Menschheit. Ein Attentat auf den Erfinder soll diese Schwemme stoppen. Doch da gibt es ein Problem mit Mr. White ...
Sabine Y. Wolperth greift das Thema in "Technik, die begeistert" wieder auf. Doch bei ihr bedarf es keiner weiteren Erfindungen, die eine, von der sie berichtet, reicht für ein Chaos völlig aus. Und in Angelika Paulys "Erwin, mein Androide" stößt eben jener schnell an seine Grenzen.
Uwe Post beschreibt in "Wotan" die Rache eines Hackers an einem Neonazi. Dieses ungewöhnliche Thema wird vom Autor ebenso ungewöhnlich umgesetzt.
W. Berner stellt in seinem technisierten und computerüberwachten Haus schnell fest: "Nur mein Toaster hat mich lieb!" Ansonsten ist der Protagonist umringt von Maschinenmonstern.
"Endstation Charybdis III" von Christian von Aster ist eine mobile Zollstation, in der Kaffee und Rauschgift zum Einsatz kommen. Claudia Hornung setzt in "Kurzschluss" auf das logische Denken einer Putzfrau und Melanie Metzenthin offenbart uns eine Lösung, wie man schnell und "Kostengünstig" ein bestimmtes finanzielles Problem lösen könnte. Bedingung dafür ist allerdings, dass der Mensch sich als Haustier halten lässt.
"Retro" von Eiko Lajcsak erzählt von Punks und deren Klamottenproblem, während Timo Bader in "Mambo ist verliebt" eher auf innere Werte setzt.
"Die Goliath SX Sache" von Ralf Noetzel macht mal wieder deutlich, wohin übertriebene Bürokratie führen kann, Christian Künne beschäftigt sich in "Wir wollen nach ERCP/7139" mit Alien-Rassismus, Andreas Gruber offenbart dem Leser in "Holotec Services" was passieren kann, wenn man seine Rechnungen nicht bezahlt und David Kerper warnt in "Blechschaden" vor einem Roboterkauf im Supermarkt.
Niklas Peinecke versucht die Leser in "Toaster aus dem Weltraum" davon zu überzeugen, dass Jugendliche überall gleich sind, auch wenn sie Außerirdische sind, und Thomas Backus weiß, dass "Der perfekte Mensch" nicht aus den Genen von Genies gezeugt werden kann.
Heidrun Jänchen greift wiederum das Thema der Unendlichkeit auf und schildert in "Invasion", warum ein einzelner, ganz spezieller Mensch zum Erhalt seiner Spezies beitragen konnte.
Die Titelgeschichte "Darwins Schildkröte" von Nina Horvath beschreibt das Leben eben jener Schildkröte, von der Zeit, als sie noch für ein Männchen gehalten wurde, bis zu ihrer tiefen Freundschaft mit einem Außerirdischen. Bernhard Weißbecker klärt uns auf, woher "Die Kreise im Kornfeld" kommen und welche Rolle Hirsche dabei spielen, und zu guter Letzt erzählt Frank Hebben was passiert, wenn aus normalen plötzlich "Fromme Küchengeräte" werden.
Wie dem Kurzüberblick schon zu entnehmen ist, bietet die Anthologie eine illustre Mischung verschiedener Themen und deren Ausarbeitung. Während einige Autoren skurril und witzig an das Thema herangehen, verarbeiten andere Probleme des alltäglichen Geschehens. Trotz der Überschneidungen, die es natürlich bei der Themenauswahl gibt, handelt jeder Autor seine Geschichte sehr individuell ab und versucht sie so zu etwas Einzigartigem zu machen. Wie in fast jeder Anthologie kommt dabei eine Mischung heraus, die in ihrer Gesamtheit lesenswert ist, doch Abstufungen in der Qualität bleiben unerlässlich. Auch können nicht alle Autoren den Geschmack eines Lesers treffen, und deshalb blieben mir die Geschichten von Rainer Innreiter, Uwe Hermann, Markus Niebios, Saven van Dorf, Melanie Metzenthin und Heidrun Jänchen in besonders positiver Erinnerung. Damit möchte ich die anderen Geschichten nun nicht abwerten, denn ich bin überzeugt davon, dass jede Geschichte seine Leser findet. Insgesamt hielt ich die meisten Geschichten für unterhaltsam und lesenswert.
Was mich hingegen überhaupt nicht überzeugen konnte, waren die Innenillustrationen. Im Gegenteil, ich fand sie eher unpassend in ihrer naiven Art, wie ich sie bisher nur aus alten Kinderbüchern kannte.
Fazit:
Wer sich einen Überblick über den Facettenreichtum der Science Fiction verschaffen möchte, ist mit dieser Anthologie gut beraten. Ernste Themen sind hier vereint mit Außerirdischen und hochentwickelter Technik, die Autoren erzählen teilweise witzig und skurril. "Darwins Schildkröte" ist eine Sammlung von Geschichten, die für jeden Geschmack etwas bereithält.
6 von 10 Punkten