| Reihe/Serie: ~ Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
Der kanadische SF-Autor Robert Charles Wilson erregte vor wenigen Jahren vor allem durch seinen preisgekrönten Roman „Spin“ großes Aufsehen. Sein Werk ist gekennzeichnet durch - wenn man dies so bezeichnen kann - kosmische Extremsituationen, in welche die Menschheit unerwartet hineingezogen wird. War es in „Spin“ eine Art gewaltiger Schirm, der die Erde vom übrigen Universum von einer Sekunde auf die andere abschirmte, in „Die Chronolithen“ gigantische Statuen, die explosionsartig in Erscheinung treten, so ist es in „Darwinia“ Europa, das sich von heute auf morgen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in eine bizarre Dschungelwelt transformiert. Niemand kennt den Grund. Doch sofort ist der Entdeckergeist geweckt, und eine Expedition macht sich auf, um das neue Europa, das von allen nun Darwinia bezeichnet wird, zu erforschen. Bizarre Pflanzen und groteske Lebewesen beherrschen den Kontinent. Einer der Teilnehmer ist Guilford Law, der als Photograph die Expedition in Bildern festhalten soll. Doch je mehr die Expedition herausfindet, desto unglaublicher werden ihre Entdeckungen.
Wilsons Roman aus dem Jahr 1998 beginnt wie eine Art Lost-World-Roman. Zugleich schildert er überzeugend, welche sozialen und politischen Konsequenzen die Veränderungen in Europa für die übrige Welt mit sich bringen. Die erste Hälfte des Romans ist daher sage und schreibe einfach nur atemberaubend. Im Zentrum der Handlung steht Guilford Law, der sich erhofft, durch die Teilnahme an der Expedition ein berühmter Photograph zu werden. Nach und nach stellt sich heraus, dass er im Grunde genommen eine zentrale Rolle innerhalb der zunächst unerklärlich erscheinenden Geschehnisse spielt. Sowohl Law als auch alle übrigen Personen sind von Wilson überaus lebendig geschildert, so dass ihre Handlungen durchaus nachvollziehbar sind. Doch im Gegensatz zu seinen anderen Romanen konzentriert sich Wilson hier nicht nur auf die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren, sondern liefert - für seine Verhältnisse - eine gehörige Portion Action. All dies aber in einem stets hervorragenden, fast schon literarischen Schreibstil, der Robert Charles Wilson von vielen seiner Kollegen abhebt.
Doch dann begeht Wilson den Fehler, ins quasi Esoterische abzudriften. Zwar bleibt die Spannung erhalten, die Faszination der Geschichte ist jedoch zum großen Teil dahin. Man kann ihm nicht vorwerfen, in den Kitsch überzugehen, doch scheint er krampfhaft nach einer Lösung für all die sonderbaren Geschehnisse gesucht zu haben. Dies macht sich in der zweiten Hälfte des Romans bemerkbar, so dass hier diese grandiose Anfangsidee umgestoßen wird. So ähnelt die zweite Hälfte dann doch mehr einem Endzeitroman und besitzt nicht mehr die wunderbare Aura eines SF-Abenteuer-Romans, die er jaselbst immer wieder durch Anspielungen auf Edgar Rice Burroughs unterstreicht. Insgesamt also lässt „Darwinia“ den Leser mit zwiespältigen Gefühlen zurück: eine beeindruckende Anfangsidee, ein eher wenig gelungenes Finale.