Reihe: Fortsetzung zu Daemon Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Nachdem Daemon ein klassischer Cyberthriller war, setzt der Nachfolger Darknet die Vorgänge weiter fort und Daniel Suarez entwirft eine völlig neue Weltordnung. Bereits an dieser Stelle sei erwähnt, dass ich mir den ersten Band kaufen musste, um den vorliegenden Roman zu verstehen. Zuviel wird stillschweigend vorausgesetzt. Danach war ich für zwei Tage beschäftigt, die wenigen Seiten zu lesen. Für ein Taschenbuch benötige ich bei gemütlicher Leseweise knapp fünf Stunden, meist weniger. Hier musste ich mich aber in der Lesegeschwindigkeit zurücknehmen. Und ich habe es gern getan. Denn das, was der Autor hier bietet, ist in erschreckender Weise die Wirklichkeit von morgen.
Daniel Suarez schildert vorausschauend die nächste evolutionäre Stufe der Zivilisation. Es ist nicht etwa die Weiterentwicklung des Menschen, sondern eher die Weiterentwicklung des Computers. Nicht der Mensch verändert jetzt die Welt, sondern der weltweit vernetzte Mensch wird zur Versuchsperson des elektronischen Gehirns. Selbiges, über Millionen von Rechnern verteilt, entwickelt sich zu einer nicht mehr abschaltbaren künstlichen Intelligenz. Denn wird ein Rechner vom Netz genommen, wird das fehlende Teil durch einen weiteren Rechner ersetzt. Der Rechner und die dahinter stehende Software lernen vom Menschen. Mit jeder Suchanfrage, mit jeder E-mail, Twitter, Blog oder einfach nur einem "Gefällt mir"-Knopf lernt der Computer vom und mit dem Menschen. Daraus folgt: Handlungen der Menschen werden von vereinfachten Rechenverfahren vorausgesagt und bestimmt. Der Computerpionier Sobol hinterließ ein Computerprogramm, dem es fast problemlos gelingt, die bereits vernetzte, digitale Welt unter seine Kontrolle zu bringen. In seiner analytischen Weit- und Weltsicht beschreibt der Autor eine wirklichkeitsnahe und beängstigende Kulturrevolution.
Im ersten Teil, Daemon, ging es noch vorrangig um die Technik. Im zweiten und abschließenden Teil, Darknet, konzentriert sich der Blick auf die Veränderungen unserer Gesellschaft. Handlungsträger Sobol, der Geist im Internet, dringt immer tiefer in unsere Welt ein. Er übernimmt nicht nur die Steuerung über alle Systeme, sondern ihm obliegt es, die Wirklichkeit neu zu erklären. Hier kommen wir wieder zu den bereits in den 1960ern erzählten Romanen, in denen die Computer/der Computer die Weltherrschaft anstrebten. Nichts anderes ist der Roman von Daniel Suarez. Im Gegensatz zu den nostalgisch anmutenden Romanen der Vergangenheit kann man nun davon ausgehen, es kann tatsächlich geschehen. Sobol ist ein äußerst unglaublich auf wirklichen, zuverlässigen und vermeintlichen Zahlen zusammengesetztes und genau arbeitendes Gemisch aus KI-Systemen, die weit über die aktuellen Möglichkeiten der Softwareentwicklung hinausgehen. Daemon ist eine medienübergreifende Maschine geworden, die in der Lage ist, Nachrichten zu untersuchen und bewerten, zur Beeinflussung von Menschen. Im Kern ist er ein weit verzweigtes, vielschichtiges Netz, welches man durchaus mit der zur Zeit stark beworbenen Cloud vergleichen kann. Hier lagert der Mensch, der sonst so vorsichtig ist, nicht nur sein Wissen, sondern auch sehr private Daten von seinem Rechner irgendwohin aus, wo er keine Möglichkeit hat, diese Informationen wieder zu löschen oder die Zugriffe zu kontrollieren. An dieser Stelle versagt der moderne Datenschutz, und alle Richtlinien dazu, weil der Mensch versagt und sich von der Werbung einlullen lässt.
Die Ziele des Daemon lassen sich in drei Punkte zusammenfassen. Erstens: politische, wissenschaftliche und militärische Anlagen sowie Unternehmensnetzwerke zu übernehmen. Zweitens: menschliche, von ihm abhängige Kollaborateure unter Verwendung von Konsumentendaten und sozialen Netzwerken zu finden, und drittens: die menschlichen Gefolgsleute als ausführende Systeme, quasi bewegliche Anlagen seiner selbst, zu nutzen, um Aufgaben auszuführen. Mit jedem neuen Rechner, der ans Internet angeschlossen wird, breitet sich der Daemon unaufhaltsam wie ein Krebsgeschwür aus. Frei von allen moralischen Ansichten des Menschen, ist er nicht mehr zu kontrollieren. Dem Erfinder wuchs Daemon - Darknet über den Kopf. Eine Verselbstständigung war nicht vorgesehen. Die beiden Bücher liefern ein Abbild einer Zukunft, in der die Welt sich ohne den Menschen weiterentwickelt. Sie muss sich so nicht entwickeln, aber sie kann, wenn wir sie lassen.