Titel: Der Kinderdieb Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Peter wird als Kleinkind von seiner Familie als Wechselbalg erkannt, im Wald ausgesetzt und dem Tod preisgegeben. Denn mit dem Aussetzen des Kindes haben sie es ja nicht umgebracht. Das machen, hoffentlich, die Tiere. Indes findet ihn der Moosmann Goll und rettet ihn vor dem Wolf. Goll, ebenfalls ein Außenseiter, nimmt ihn bei sich auf. Er wird sein Lehrer und bringt ihm bei, sich in der Wildnis durchzuschlagen. In der Wildnis heißt es Fressen oder gefressen werden. Diese Weisheit erwirbt Peter für sich auf die brutale Art und Weise. Als er sich als Sechsjähriger in einem nahe gelegenen Dorf gleichaltrige Spielkameraden sucht, verjagen ihn die Dorfbewohner. Zudem bringen sie seinen Freund und Lehrer Goll grausam in seinem Versteck um, als sie dies finden und seiner habhaft werden. Der Moosmann ermahnt kurz vor seinem Ableben Peter, den Wolf zu töten, der ständig hinter ihm her ist.
Peter kann das Tier tatsächlich töten, verliert damit gleichzeitig ein Stück seiner Unbeschwertheit als Kind. Eine weitere einschneidende Veränderung tritt ein, als er von drei Elfen über einen Steinkreis nach Avalon geholt wird. Die dort lebende Moorhexe Ginny ist eine Menschenfresserin und bedroht sein Leben. Peter befreit sich, indem er ihr einen brennenden Holzscheit ins Auge stößt, wodurch er sie sich zu einer lebenslangen Feindin macht.
Bei der Erforschung des unbekannten und sagenhaften Landes Avalon lernt Peter auch die Dame von Avalon kennen. Sie schützt mit ihren Nebeln das Land vor fremden Eindringlingen. Das alte, verzauberte, mythische Avalon, Land der ewigen Jugend, und sein einzigartiger Zauber werden von den Erwachsenen bedroht.
Ulfger, der Sohn und Erbe des Gehörnten, sieht in Peter einen Konkurrenten und somit eine Bedrohung um die Macht in Avalon. Er verkennt damit die wahre Bedrohung für das paradiesische Land. Daraufhin fasst Peter den uneigennützigen Entschluss, sich ein Kinderheer zu schaffen. Er holt aus der Welt der Erwachsenen Kinder, am besten im Alter von 14 oder 15 Jahren, die zu Außenseitern wurden und die niemand wirklich vermisst. Diese Kinder stehen meist an einem gefühlsmäßigen Abgrund. Sie wurden körperlich und seelisch misshandelt und sehen keinen Ausweg mehr. Nathan etwa steht kurz davor, in einem blutigen Racheakt die Mörder seines Bruders zu erschießen. Nick, der noch unverdorben ist, fühlt sich genötigt, den brutalen Drogendealern, an die seine Mutter untervermietete und die nun die Familie schikanieren, die Drogen wegzunehmen. Peter bietet den Kindern eine neue Chance zu einem einigermaßen friedlichen Leben. Er verschweigt aber, dass Avalon, das angebliche Paradies, vom Untergang bedroht ist und sie ihm bei der Vertreibung seiner Feinde helfen müssen. Weil Peter für die Kinder zu ihrem Anführer und einer Vertrauensperson wird, folgen sie ihm überallhin, um das in die Tat umzusetzen, was er für richtig erachtet.
Der amerikanische Autor und Illustrator Brom schreibt, er möchte das Buch Der Kinderdieb als Lobgesang auf die ursprüngliche, nicht geschönte, nicht entschärfte und nicht bereinigte Fassung des Romans Peter Pan von James M. Barrie verstanden wissen, der im Jahr 1911 zum ersten Mal erschien. Der Kinderdieb zählt unzweifelhaft zur Untergruppierung Dark Fantasy. Er ist weitaus brutaler als normale Jugendbücher oder gar Märchen. Eine Altersempfehlung gebe ich selten ab. Doch sollten Kinder das Buch erst ab 15 Jahre in die Hand nehmen. Für jüngere ist das Buch nicht geeignet. Mir stellt sich jedoch die Frage, ob das Buch tatsächlich für Jugendliche gedacht ist oder ob es nicht einfach nur die Aufarbeitung der eigenen Kindheit ist. Der Wunsch, Peter Pan, der nicht erwachsen werden kann, so zu beschreiben und zu zeichnen, wie er, Brom, ihn sieht. Der Roman stört das Zufriedenheitsgefühl des Lesers, wenn er das Buch, mit den ohne Zweifel gelungenen Zeichnungen, in die Hand nimmt. Meiner Ansicht nach fordert es die Leser heraus nachzudenken. Daher mag es stellenweise etwas zäh zu lesen sein. Im Grunde beginnt der Roman erst richtig, als Peter nach Kindern für seine Armee sucht. Die Geschichte lebt von Rückblicken, die viel von dem erklären, was Brom zuerst als Wissen voraussetzte. Das zeigt sich vor allem, wenn er wieder einmal mehr auf alte Sagen und Mythen eingeht, indem er sie lediglich kurz erwähnt.
Der Roman ist spannend geschrieben, vielschichtig aufgebaut und überzeugt mit einer düsteren Grundstimmung, mal stärker, mal schwächer ausgeprägt. Persönlich gefiel mir zwar, dass er sehr offen und vorurteilsfrei brutale Geschehnisse schildert, doch ob sie nötig gewesen wären, will ich nicht beurteilen. Manchmal wäre an diesen Stellen weniger mehr gewesen. Brom fordert heraus, zwingt zur Stellungnahme. Für oder gegen Der Kinderdieb. Für das Buch sprechen die Farbseiten in der Mitte des Buches. Hier können die Leser die Handlungspersonen bewundern, gezeichnet natürlich vom Autor persönlich. Allerdings sehen Kapitän, Ulfger und Prediger ziemlich gleich aus. Den einzelnen Kapiteln ist eine gelungene Schwarzweiß-Zeichnung vorangestellt. Ein wirklich gelungenes Buch, das ich gerne in die Hand genommen habe.