| Reihe: Gruselkabinett, 36. und 37. Ausgabe Eine Besprechung / Rezension von Max Pechmann |
Das wohl bekannteste Buch Oscar Wildes (1854-1900) trägt den Titel „Das Bildnis des Dorian Gray“. In diesem Roman erzählt Wilde die seltsame und unheimliche Geschichte des jungen Mannes Dorian Gray, dessen Schönheit von allen bewundert wird. Eines Tages fertigt der Maler Basil Hallward ein Porträt von ihm an, um dadurch Grays Aussehen für immer festzuhalten. Gray ist über sein Bild so begeistert, dass er den Wunsch ausspricht, dass er selbst nie altern, sondern sein Abbild dieses Schicksal auf sich nehmen solle. Kurz darauf begegnet er Lord Henry Wotton, der zum engen Freundeskreis Hallwards gehört. Dieser Dandy sieht in Dorian Gray einen noch ungeformten Charakter, den er auf seine Weise beeinflussen möchte. Trotz der Warnungen Hallwards steckt Wotton Dorian Gray mit seiner Verdorbenheit an. Im zunehmenden Maße verkommt der junge Mann zu einem bösartigen und egoistischen Menschen, der seine Liebhaber ins Verderben zieht. Doch was die Sache so seltsam macht, ist Folgendes: Obwohl die Jahre vergehen, scheint Dorian Gray nicht älter zu werden.
Wildes Roman löste im viktorianischen England einen Skandal aus. Grund dafür war nicht nur die in dem Buch bloßgelegte Gesellschaft, sondern auch die homosexuellen Anspielungen. Manche Literaturkritiker sehen in der Beziehung zwischen Lord Wotton und Dorian Gray ein Äquivalent zu Oscar Wildes Beziehung zu seinem Freund Bosie. Wilde, der seine Homosexualität nicht verbarg, führte diese Beziehung letztendlich ins Gefängnis, wo er zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt wurde. Nach seiner Freilassung, zog er nach Paris, wo er völlig verarmt starb.
Der Roman „Das Bildnis des Dorian Gray“, der eindeutig zur Schauerromantik zu zählen ist, wurde bereits mehrmals verfilmt. Die aktuellste Adaption stammt aus diesem Jahr. Nun haben sich auch Marc Gruppe und Stephan Bosenius an diesen Stoff herangewagt und ein Hörspiel kreiert, dessen Dauer über zwei Stunden beträgt.
Um es kurz zu machen: Die zwei Stunden kommen einem wie zwei Minuten vor. Wie immer zeigen sich Marc Gruppe und Stephan Bosenius in Höchstform. In die hervorragenden Dialoge lässt Marc Gruppe die Wortgewandtheit Oscar Wildes mit einfließen. So finden sich mehrere seiner berühmten Zitate, eingebunden in einen jeweils passenden Zusammenhang. Zugleich konzentrieren sich Gruppe und Bosenius darauf, die Beziehung zwischen Wotton und Gray als Teil einer quasi-biographischen Anspielung auf Oscar Wilde wiederzugeben, was dem Hörspiel eine überaus lebendige Note verleiht. Die Dramatik nimmt ihren Lauf, als Wottons „Experiment“ mit Dorian Gray in gewisser Weise außer Kontrolle gerät. Grays kaltblütiger und egoistischer Umgang mit einer Schauspielerin oder mit seinen Geliebten ist geradezu schockierend und macht das Hörspiel zu einem nervenaufreibenden Erlebnis. „Das Bildnis des Dorian Gray“ in der vertonten Version von Marc Gruppe und Stephan Bosenius ist somit eine wahre Bereicherung. Sowohl für Fans von Oscar Wilde als auch für Freunde der Phantastik im Allgemeinen.