Titel: Berggeister: Fantastische Geschichten Eine Rezension von Ida Eisele |
Klappentext:
Wo schroffe Felsen mit zartem Grün und weichen Bachmeandern faszinierende Kulissen bilden; wo sich einladende Täler mit kühlen Klammen abwechseln; wo Gebirgsbäche tosend in die Tiefe stürzen und sich hinter jedem Baumstamm, jedem Felsbrocken Blüten- und andere Geheimnisse verbergen; wo sonnige Almen und dunkle Höhlen den Abenteurer locken – dort, ja dort sind Berggeister daheim.
Berggeister ist eine Anthologie von 16 Kurzgeschichten:
Das Traumbeutelchen (Petra Schmidt)
Herr Alexander, ein Berggeist, verliert sein Traumbeutelchen. Die Tiere des Waldes helfen ihm bei seiner Suche...
Die Geschichte leidet unter flacher Charakterisierung und fehlender Spannung auf Grund des vorhersehbaren Endes. Die angedeutete, harmonische Natur mit den zusammenarbeitenden Waldtieren* und dem putzigen, ältlichen Berggeist schaffen die Atmosphäre eines Kindermärchens. Allerdings wird der einzige vorkommende Mensch, ein kleiner Junge, von Grund auf schlecht und bösartig beschrieben, was auf mich zutiefst verstörend wirkte.
Insgesamt fällt es mir darum schwer, „Das Traumbeutelchen“ einzuordnen und abschließend zu beurteilen. Es scheint weder für Kinder noch für Erwachsene das richtige zu sein.
* Einzige Störung waren die Waschbären, die in Europa nun einmal nicht heimisch sind.
Geisterstunde (Bernd Meyer)
Ein namenloser Wanderer begegnet einem Geist und erlöst ihn von seinem Fluch...
Es mag Leser geben, deren Humor von dieser Geschichte angesprochen wird. Ich muss ehrlich sagen, dass ich sie nur noch überflogen habe, nachdem ich drei Seiten lang einer Diskussion gefolgt bin, deren Inhalt in folgendem Zitat zusammenzufassen ist:
„Buh.“
Der Wanderer sah die Gestalt irritiert an, sagte aber kein Wort.
„Ehm... hast du nicht verstanden? Ich sagte Buh!“
Der Wanderer starrte die Gestalt immer noch ungläubig an. „Buh? Warum Buh? Wer bist du denn überhaupt?“ (S. 32)
Meine Meinung darüber möchte ich hier nicht mit Adjektiven umschreiben. Wenn jemand durch das Zitat neugierig geworden ist, wünsche ich ihm oder ihr viel Spaß beim Lesen. Den anderen kann ich sagen, dass nicht alle Geschichten dieser Anthologie so sind.
168 (Tanja Rast)
Eine Weltenbumlerin entdeckt den Charme des höchsten Berges Schleswig-Holsteins...
Augenzwinkernd erzählt wartet diese Liebeserklärung an das nördlichste deutsche Bundesland mit einer klar charakterisierten Hauptperson auf, die ihre anfängliche Überheblichkeit erkennt und überwindet. Eine solide Geschichte über die Dinge, die einen Berg eigentlich ausmachen.
Der Stein (Kristina Kesselring)
Ein Mädchen findet auf der Bergtour mit ihren Eltern ein altes Steinfigürchen. Überrascht muss es feststellen, dass die Statue nachts lebendig wird...
Sprachlich gut, hinlänglich spannend und letzten Endes doch geheimnisvoll genug, um in Erinnerung zu bleiben.
Miriel (Manfred Lafrentz)
Ein Junge, der dem Mädchen seiner Wahl ein Liebespfand bringen will, wird in den Bergen von einem bösen Zauberer gefangen...
Getragen wird die Geschichte von nicht eben exotischen, aber doch überzeugenden Charakteren sowie ausgesprochen unheimlichen Berggeistern. Zur Unterhaltung ganz in Ordnung.
Der Dämmerlichtgarten (Magdalena Ecker)
Ein Mädchen folgt seinem Vater zu Verwandten in die Berge. Dort findet sie den Weg ins unterirdische Reich der Zwerge...
Die Stimmung des dargestellten Mittelalters wird untermalt von den alten Sagen um Dietrich von Bern und Hildebrand, auf welche in der Geschichte Bezug genommen wird. Mein einziger Kritikpunkt ist das etwas zu hastige Ende.
Winterbann (Vanessa Kaiser und Thomas Lohwasser)
Ein junger Mann ist auf der Suche nach einer besseren Zukunft auf dem Weg über die Berge. Da findet er sich trotz beginnenden Winters in einem sommerlichen Tal wieder. Dort verliebt er sich in eine junge Frau, deren Vater jedoch ein düsteres Geheimnis hütet...
Begeistert hat mich an dieser Geschichte die bildreiche Sprache einerseits und die originelle Idee eines gebannten Frostgeistes andererseits. Die Charaktere sind rund und einprägsam, die Geschichte stimmig. Insgesamt eine lesenswerte Kurzgeschichte.
König Serles (Leander Mathoi)
Ein Zwerg und ein Abenteurer geraten zwischen die Fronten einer alten Feindschaft zwischen Berggeistern.
Die Handlungen der beiden klassischen Charaktere sind bisweilen etwas sprunghaft und unbegründet. Immer wieder wird ein weiter Hintergrund angedeutet. Allerdings werden zu schnell zu viele Informationen eingeworfen, ohne Erklärungen nachzuschieben, sodass der Leser am Ende ein wenig verwirrt zurückgelassen wird.
Die Jungfrau im Fels (Tobias Rafael Junge)
Ein Krieger soll eine junge Frau dem Berg opfern, doch unterwegs ergeben sich unerwartete Schwierigkeiten...
Herausragendstes Merkmal dieser Geschichte ist die zweigeteilte Erzählung. In einem Nebentext wird die Sage um die Jungfrau im Fels erzählt, welche die Hintergründe der Geschichte aufklärt. Die Beziehung der beiden Protagonisten macht in Lauf der Geschichte eine einseitige Wandlung durch und macht am Ende doch eine gänzlich überraschende Wendung. Von Konzept und Umsetzung her vollständig überzeugend.
Der Bergmönch (Christian Mayr)
Ein rachsüchtiger Geist entführt ein Mädchen...
Es bleiben zwar Fragen offen – warum wird das Kind überhaupt entführt? - aber sonst zeichnet sich die Geschichte durch wenige, klar charakterisierte und gut vorstellbare Protagonisten aus.
Zwergenloch (Mortimer M. Müller)
Balgandur soll für einen Magier einen magischen Helm aus einer Zwergenfestung stehlen...
Hier werden ausgesprochen klassische Zwerge mit einem sich selbst überschätzenden Dieb konfrontiert. Die Geschichte bleibt durch die Schilderung von Balgandurs Einbruchsversuch spannend, sticht aber durch nichts hervor. Gute Unterhaltungsfantasy.
Die Geister im Salz (Astrid Rauner)
Eine junge Frau verliert ihren Liebsten bei einem Bergunglück. Ein seltsamer Mann hilft ihr, den Geist des Berges zu besänftigen, um ihn so vielleicht wiederzubekommen...
Die treffsichere Sprache macht mit bildhaften Beschreibungen das Geschehen und die Verzweiflung der jungen Frau lebendig, ohne sie übertrieben oder gar kitschig wirken zu lassen. Der Hinweis auf uralte Kulturen in den Bergen, die lange vor den Dörflern der Geschichte dort lebten und Salz abbauten, gibt der Geschichte eine historische Dimension. Handwerklich wirklich gut und erfreulich zu lesen.
Unheilvolle Nacht (Angelika Engel)
Eine Frau wandert in den Bergen, doch nachts geschehen seltsame Dinge. Schrecklicher Lärm hält sie wach...
Mit dem Aufstieg in die Berge vollzieht sich das Loslösen von der menschlichen Welt und der Eintritt in die Welt der Geister und Sagenwesen. Die Geschichte kommt ohne Längen aus, übermäßig spannend wird sie allerdings auch nicht. Zum einen, weil möglicherweise gruselige Stellen mit 'Möööp!'s oder niedlichen Kobolden aufgelockert werden. Zum anderen, weil die Problemlösungen für einen einigermaßen aufmerksamen Leser stets schon auf der Hand liegen.
Nicht schlecht, aber auch nicht überragend.
Hüter der Almen (Hendrik Lambertus)
Ein junger Armbrustschütze soll einen Fremden des Geldes wegen auf die verbotenen Weiden der Saligen Frauen führen...
Vom Gold verführt handelt der Protagonist gegen besseres Wissen. Dass das nicht gut ausgehen kann, liegt auf der Hand. Wie genau es dann kommt, ist dennoch nicht von Anfang an ersichtlich. Zudem sind das Leben im Tal, die Saligen Frauen und der Fremde so gut geschildert, dass vor dem inneren Auge eine stimmige, vertraute und doch fremdartige Welt entsteht.
Das steinerne Herz (Josepha Gelfert)
Der Geist eines Berges liegt im Sterben. Um am Leben zu bleiben, nimmt er Gestalt an und ist auf der Suche nach Blut...
Diese Geschichte lässt einige Fragen ungeklärt. Warum ein Berggeist menschliches Blut zum Leben brauchen sollte, erschließt sich mir jedenfalls nicht intuitiv. Auch die niedereren Berggeister, vertreten in Gestalt von Heidi und dem Alm-Öhi, wirken nicht stimmig, sondern eher verstörend.
Manapuni (Sabrina Zelezný)
Das Mädchen Soledad darf zum ersten Mal allein die Lamas hüten. Auf dem Berg aber verschwindet ausgerechnet ihr Lieblingslama in Richtung Gipfel, wo der Berggeist Manapuni lebt...
Einfühlsam berichtet die Geschichte von den Gedanken und Ängsten eines elfjährigen Mädchens zwischen alten Sagen und der harten Realität eines von Rebellen und Regierungssoldaten umkämpften Landes. Der Condorgeist Manapuni fügt sich nahtlos ein. Eine absolut lesenswerte Geschichte.