Titel: Battle Royale Eine Besprechung / Rezension von Karsten Kruschel |
Dies ist ein gewalttätiges Buch. Es gibt so um die fünfzig handelnde Personen, und am Ende sind zwei davon übrig.
An Altersschwäche stirbt niemand. Fast alle sind Jugendliche.
Für europäische Leser mag es ein bißchen schwierig sein, sich all die japanischen Namen zu merken. Deswegen gibt es am Anfang eine Liste der zweiundvierzig Schüler, die sich plötzlich auf einer abgelegenen Insel wiederfinden. Dort kann der deutsche Leser nachschlagen, wenn er mit der Zuordnung all der ungewohnten Namen nicht klarkommt.
Gewissenhafte Leser können da auch gleich abstreichen, wenn jemand nicht mehr vorkommen kann. Um die Übersicht zu behalten, ist zusätzlich am Ende jedes einzelnen Kapitels vermerkt, wieviele noch nicht ausgeschieden bzw. abgehakt sind.
Wem all das jetzt zu merkwürdig ist, dem sei mitgeteilt, daß wir hier von einem enormen Publikumserfolg in Japan sprechen. Dort war der Roman „Battle Royale“ ein Bestseller, wurde verfilmt, zeugte einen (wie üblich mißlungenen) Fortsetzungsfilm und wurde als Manga grafisch umgesetzt. Es gibt sogar Merchandising.
Der Roman spielt in der Republik Großostasien. Wir haben es also mit einem Alternativweltroman zu tun, in dem Japan (vielleicht) den zweiten Weltkrieg gewonnen hat oder sich mit China zu einer Diktatur zusammengetan hat, aber das wird nie so recht klar und interessiert den Autor auch nicht. Dieser Staat Großostasien hat die Tradition der Klassenfahrt zu einem Ritual der besonderen Art weiterentwickelt. Man schickt jedes Jahr eine komplette neunte Klasse, willkürlich ausgewählt, auf eine einsame Insel. Jeder der zweiundvierzig Schüler bekommt eine zufällig zugeteilte Waffe, von Sichel und Küchenmesser über Pfeil und Bogen bis zu Armbrust, Walther PPK und Maschinengewehr. Um den Hals trägt jeder ein Explosionshalsband, das hochgeht, wenn zwei Tage vergangen sind, es sei denn, nur ein einziger der fünfzehnjährigen Schüler ist noch übrig. Der ist dann der Sieger des Spiels und bekommt neben einer lebenslangen Pension und Ruhm und Ehre auch eine handsignierte Autogrammkarte des großen Diktators.
Los geht das Gemetzel, und am Ende eines jeden Kapitels taucht in fett und kursiv gesetzen Buchstaben der aktuelle Bodycount auf. „42 Schüler übrig“ steht zuletzt auf Seite 49, danach geht’s abwärts.
Es handelt sich bei dem Roman aber nur oberflächlich um eine Kreuzung aus „Herr der Fliegen“, „Running Man“, „Das zehnte Opfer“ und den zehn kleinen Negerlein. Zum einen stellt sich alsbald heraus, daß einer der Teilnehmer das Spiel bereits einmal gewonnen hat; seine nochmalige Verwicklung in das mörderische Geschehen macht alle offiziellen Begründungen für das Spiel fadenscheinig. Aus allen Ritzen scheinen Informationsbruckstücke über die Welt heraus, in der solche Spiele möglich sind. Bei den meisten der hingemeuchelten Jugendlichen wird genug über ihr Leben und ihre Persönlichkeit erzählt, daß sich dem Leser nach und nach ein Kaleidoskop einer finsteren dystopischen Welt erschließt, die sich vor Orwell nicht verstecken muß und gegen die Huxley wie der gütige Onkel aus der Babybreiwerbung wirkt. Eine Welt, die Menschen hervorbringt, die einander in einem solchen Spiel die Augen auskratzen, wortwörtlich. Das ist streckenweise (gewollt) brutal, aber nicht uninteressant zu lesen.
Und genau das ist der Punkt. Koushun Takami hält einer Welt den Spiegel vor, die Menschen in Containern bespitzelt und Leute, die sich emotional und physisch völlig entblößen, aus Dschungelcamps herauswählt. Er ist nur sehr viel konsequenter und verabschiedet die gescheiterten Kandidaten auf sehr finale Weise. Die teilweise phantasievollen Versuche der Schüler, einander entweder aus dem Weg zu gehen oder einander umzunieten, konnten in Japan zum Gegenstand eines Kults werden, weil so etwas in einer überreglementierten Gesellschaft als Ventil gesehen werden kann. Und es schält sich nach und nach der wahre Sinn der verrückten Reise-nach-Jerusalem-Version heraus: Wenn man weiß, daß in der Gesellschaft, in der man lebt, solche „Spiele“ gnadenlos durchgezogen werden, erscheint jeder Widerstandsversuch gegen das System sinnlos. Disziplinierung der Untertanen also. Wenn schon nicht der Große Bruder von jeder Wand herabschaut, läßt sich auch auf diese Weise klarmachen, in was für einer Welt man lebt. Die Schüler begehen Selbstmord, bringen ihren besten Freund um, schmieden Allianzen und verraten sie, verstecken sich und kein einziges blutiges Detail bleibt unerwähnt.
Finstere Social-SF ist „Battle Royale“, eine Dystopie, deren überwältigender kommerzieller Erfolg im Heimatland auf unsereinen schon ein wenig beklemmend wirkt. Die vorliegende Übersetzung stört mit sprachlichen Aussetzern wie „Über die Schultern hatten sie Sturmgewehre geschlungen“, „Schnackelt’s?“ oder „Die drei Automatikpistolen explodierten gleichzeitig“ (wenn Schüsse gemeint sind).
Die zweiundvierzig Schüler haben natürlich nicht alle ein individuell dargestelltes Einzelschicksal – dafür leben einige einfach nicht lang genug. Bei den übrigen jedoch gelingt es dem Autor, scharfe Schlaglichter zu setzen, die nicht nur die Person, sondern auch die Welt der Republik Großostasien erhellen. Die ist eine alternative Version des modernen Japans, nah genug, um bestürzend zu sein. Und es gibt noch eine darwinistische Komponente der Handlung: Ist einer der Spieler kaltblütig genug, die Waffen der von ihm erlegten Mitschüler an sich zu nehmen, wird er immer gefährlicher für den Rest: Das Überleben ist so auch eine Aufrüstung.
So hat Darwin das bestimmt nicht gemeint.
Sehr spannendes Buch, empfindsame Gemüter sollten einen Blick auf die Reihe werfen, in der es erschienen ist. „Hardcore“ steht da nicht ohne Grund.