Reihe: Vampira Neuauflage, Heft 15 Eine Besprechung / Rezension von Thomas Backus
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Durch die Ereignisse im letzten Roman ist Liliths Symbiont angeschlagen, nun träumt er von seiner früheren Trägerin: Creanna (welche, wie wir wissen, Liliths Mutter ist). Ein netter Aufhänger, den es für mich nicht gebraucht hätte, um ein Vergangenheitsabenteuer anzustimmen. Passt sowieso nicht, weil die Geschichte aus der Sich der Creanna erzählt wird.
Aber ich liebe Vergangenheitsabenteuer und ich schätze die Ich-Erzählperspektive.
In Llandrinwyth taufte die schwefeläugige Hexe mit dem gestohlenen Lilienkelch ein Kind auf den Namen Creanna. Sie nimmt sie mit sich und lehrt sie die Dinge, welche ihr der Kelch nicht ins Blut gelegt hat.
Die beiden erreichen Nürnberg zu einer Zeit, als noch Wachen an den Stadttoren postiert sind, welche den Neuankömmlinge mit der Hellebarde den Weg versperren.
Klar, dass zwei Vampirinnen damit nicht beizukommen ist. Sie töten die Wächter und stillen ihren Durst. Für Creanna ist es das erste Mal. Doch sie belügt ihre Mutter, als diese sich nach dem endgültigen Tod des Blutspenders erkundigt.
Station machen sie in der Herberge am Tugendbrunnen. Der Wirt Karl Ortlieb soll sich um Creanna kümmern, während Mutter sich um andere Dinge kümmert.
Nun, sehr intensiv ist der Unterricht nicht, aber als nach einigen Tagen der nicht getötete Stadtwächter auftaucht, erfährt die unerfahrene Vampirin, was Dienerkreaturen sind, und warum man sie besser im Vorfeld vernichtet.
Karl Ortlieb hat übrigens eine Vorliebe für Rubensschönheiten. Creanna beobachtet, wie er mit seiner Liebsten in sinnlichen Gelagen schwelgt. Sie beobachtet jedoch auch, wie der Wirt nach deren Verschwinden saftigen Braten aufschneidet und mit Genuss verzehrt. Der Kannibalismus wird nie offen erwähnt, aber es gibt Andeutungen:
Mehrere große Töpfe stehen auf dem Herd. Der Duft, der ihnen entströmt, ist selbst für mich verlockend.
Karl schein ein Genie zu sein, was das Zubereiten nicht nur erotischer Mahlzeiten angeht.
Als er mich sieht, fährt er aus seinem Tun hoch. Mit einem scharfen messer tranchiert er gerade ein schönes Stück Fleisch von einem langen Knochen.
Eine weitere, sehr interessante Episode betrifft einen Quacksalber, der sich in der Herberge eingemietet hat. Er hat sich auf Zuckungen spezialisiert, wobei er diese jedoch nicht heilt, sondern deutet. Mengen von Menschen, denen irgendwelche Glieder zucken, finden sich ein, um sich begutachten zu lassen. Neugierde gepaart mit Langeweile veranlasst auch Creanna, den Doktor Mendel. Als er sie jedoch als Simulantin und eventuell schlimmeres entlarvt, flüchtet sie!
Creanna hat mehrere Liebhaber. Unter anderem Konrad, den Henker. Doch dann ist plötzlich Mutter wieder da. Sie freut sich sehr über die Fortschritte, welche Creanna gemacht hat. Dann verwendet sie den Lilienkelch und...
...die Erinnerung ist weg (kommt uns bekannt vor). Creanna befindet sich in einer Kutsche. Der Kutscher empfiehlt ihr eine Lehrersfrau ... als Mahlzeit.
Später entdeckt sie einen großen, charismatischen Mann, der eine Frau aussaugt, ohne sie zu berühren. Spätestens nach Beschreibung der kreuzförmigen Narbe wissen wir, dass es sich um Landru handelt.
Weil Creanna nicht besseres zu tun hat (und es nicht besser weiß), schließt sie sich dem Obervampir an. Der ist äußerst misstrauisch, zumal er die Handschrift des Kelchs an ihr erkennt, sie jedoch keiner bekannten Sippe zuordnen kann.
Trotzdem haben sie mehrfach guten Sex miteinander, und auch sonst einigen Spaß.
Aber Landrus Aufmerksamkeit lässt erst nach, als Creanna sich als Köder für einen weißen Magier namens Marunde zur Verfügung stellt, der etliche Mitglieder der Moskauer Sippe zu Staub verbrutzelt hat.
Dann, ganz plötzlich greift der Symbiont aus heiterem Himmel Landru an...
Da der in der Jetztzeit noch lebt, wissen wir, wie das Experiment ausgegangen ist. Mutti ist sehr enttäuscht von Creanna. Sehr, sehr enttäuscht.
Aber da ist mehr:
In dieser Nacht weckt mich etwas, das alles verändert. Etwas, das die Jahre der Trostlosigkeit wie ein feuchter Schwamm von einer Schiefertafel wäscht und mich begreifen lässt, dass ich nie vergesse, nie verstoßen und nie verdammt war.
Dass mein Weg immer verfolgt wurde.
Nicht von Mutter, die keine Geduld mit mir hatte, sondern von etwas, dem auch sie untersteht.
Im Folgenden erhält Creanna ein Stigma, das übrigens auch Sean Lancaster (Liliths Vater) erhält. Wohin das führen wird!
Dieser Roman ist nicht nur gut, er ist herausragend. Wir Stammleser wissen ja, dass Creanna Liliths Mutter ist. Und wurde angedeutet, dass sie den Untergang der Vampire nicht aus freiem Willen anstrebt, sondern dass sie programmiert wurde. Hier erfahren wir mehr.
Der Symbiont wurde offensichtlich als Waffe gegen Landru konzipiert, oder zumindest eingesetzt. Dass er urplötzlich angriff, war sicher eine große Überraschung für den Obervampir, der ja nun schon eine ganze Weile mit Creanna verbrachte. Wie Muttern später erklärt: Creanna war als Schläferin in seiner Nähe, bis er eine ernsthafte Spur zum Lilienkelch gefunden hatte...
Sonst gibt es ein paar Nettigkeiten im Roman. Dass das Oberhaupt der Moskauer Sippe Rasputin heißt, ist ein netter Gag. Schön ist auch ein Weißer Magier, der sich mit Drudenfüßen auskennt (elementares Magisches Wissen, dass in vielen Gruselserien durch Erzengelkreuze und Entartete Sonnenamulette ersetzt wird). Ich hätte mich gefreut, wenn es sich bei ihm um Gijaken gehandelt hätte, dessen entwendeter Dolch in früheren Romanen eine Rolle spielte. Aber man kann ja nicht alles haben.
Erstmalig ist mir aufgefallen, dass Vampire bei Cane fluchen. Kain, der Mörderbruder von Abel, hat ja nun schon einige Schriftsteller inspiriert (Karl Edward Wagner schrieb von Kane, dem Verfluchten; Robert E. Howard von Solomon Kane). Da geht noch was.
(Ich weiß, ich habe die Erstauflage gelesen, ich müsste wissen, ob da was geht, und wieviel. Aber hey, das ist verdammt lang her, ich habe sehr viel vergessen. Was aber gut ist, da ich die Romane noch mal neu genießen kann!)
Nachdruck von: Reihe: Vampira, Heft 15
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