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Titel: Der Rabenmann Eine Besprechung / Rezension von Thomas Backus |
John Calvino ist kein normaler Bulle, er ist Polizist durch und durch. Deswegen fällt es keinem auf, dass er in einem Fall ermittelt, der ihm gar nicht zugeteilt wurde. In der geschlossenen Anstalt kommt keiner auf die Idee, dass etwas nicht stimmen könnte – auch wenn er sehr seltsame Fragen über den Täter Billy Lucas stellt.
Der hat seine gesamte Familie umgebracht, schön der Reihe nach, auf äußerst brutale Weise. Zum Schluss hat er seine eigene Schwester stundenlang vergewaltigt, auch diese getötet, und sich blutverschmiert auf die Terrasse gesetzt und selbst die Polizei angerufen.
Obwohl dieser kleine Psychopath das Zeug dazu hat, Hannibal Lectors Albträume neu zu gestalten, ist er nicht der Böse. Das Böse ist in ihm, und es heißt Verderbnis.
Calvino fährt nun heim zu seiner Familie, aber kaum ist er losgefahren, als etwas Schweres auf sein Autodach springt oder fällt. Er hört diesen lauten Schlag. Natürlich stoppt er sofort, um nachzusehen, aber da ist nichts – oder zumindest nichts, was man sehen kann!
Das Heim des Polizisten wirkt wie das Wunschbild eines Familienmenschen. Die Frau ist hübsch und klug und erfolgreiche Künstlerin. Deswegen lebt die Familie auch in einer Märchenschloss (okay, es ist nur ein haus, aber ein großes, und es ist ungewöhnlich eingerichtet) mit einem Butlerehepaar. Die Kinder sind schrecklich altklug und vernunftgesteuert. Sie werden zuhause unterrichtet, bilden sich aber auch in den schönen Künsten selbstständig weiter ... im ersten Moment wirkt dieser Teil sehr unecht, ist für die spätere Entwicklung der Geschichte von Bedeutung. Außerdem wird das Ganze sehr bald abgemildert, denn all diese (zu) perfekten Menschen haben auch ihre Schwächen, durch die sie angreifbar sind, für das Böse.
Das Böse ist in diesem Fall wörtlich zu nehmen. Denn eines wird schnell klar, Billy, der vor seiner Tat ein ebenso mustergültiger Junge war, wie es die Kinder des Polizisten sind, ist nicht der Typ, der seine Familie abschlachtet (ganz abgesehen von den schlimmen Dingen, die er stundenlang seiner kleinen Schwester antat). Es passt auch nicht so recht ins Bild, dass bereits früher Familien auf genau dieselbe abscheuliche Weise abgeschlachtet wurden – und eine dieser Familien ist die Calvinos. Der damals nur mit dem leben davonkam, weil er sich zum Geschlechtsverkehr mit seiner damaligen Freundin (ein böses Mädchen, und heute weiß er, dass sie ein böses Mädchen und nicht gut für ihn war) rausgeschlichen hatte. Er kommt nach Hause, als sich der Täter mit seiner (Calvinos) Schwester vergnügt, und mit Daddys Revolver macht er den Gräueltat ein vorzeitiges Ende.
Danach ist er Polizist geworden, um anderen Familien vor Psychopathen zu schützen, und er ist gut darin. So gut, dass er die Handschrift des einstigen Täters erkennt, obwohl er keinerlei Ahnung hat, wie dieser Hundesohn aus dem Grab herauskommen und weiter morden konnte...
Okay, dies ist ein Horror-Roman, und da ist viele möglich! Und es ist nicht verwunderlich, dass der alte Täter Alton Turner Blackwood (dessen Lebens- und Leidensgeschichte sehr aufwühlend ist, und ihm den Titel Der Rabenmann zu Recht verleiht) hinter Calvinos neuer Familie her ist. Und das wirklich geile an diesem Roman ist, dass wir miterleben, wie er dies tut.
Der Geist des Killers nimmt Besitz von Menschen, die er dann reitet, wie ein Pferd. Aber er kann nicht jeden reiten – er muss durch eine Schwäche hineingelangen. Das kann die Drogensucht sein, Neid, Gier, oder gar Mord und Totschlag. Manche Menschen lassen sich leicht reiten, sodass sie nicht einmal merken, dass sie gelenkt werden. Andere machen Freiwillig mit, weil sie merken, dass ihr neuer Reiter ihnen Möglichkeiten der Dunklen Seite ermöglicht, die ihnen Spaß machen könnte ... und das hammerharte dabei ist, wie viele Menschen auf den ersten Blick Normal und harmlos erscheinen, und welche dunklen Geheimnisse der Dämon uns offenbart. Für ihn sind wir Menschen offene Bücher. Und, bei Gott, mich hätte er auch gesattelt, das ist mir klar.
Für ihn reicht es im Prinzip schon aus, dass ein kleines Mädchen Fantasyromane liest. Sie wünscht sich, im Reich hinter den Spiegeln die Prinzessin zu sein – und schon ist da etwas im Spiegel, dass sie Prinzessin machen will. Oder, zumindest verspricht er ihr dies. Wobei uns allen klar ist, dass er dieses Versprechen nicht einhalten wird...
... sehr schön ist aber auch die kleine Schwester des Mädchens, die genau weiß, dass das Ding nicht kommen kann, wenn man es nicht hereinbittet. Doch was kann ein kleines Kind schon gegen das ultimative Böse tun, das noch nicht einmal vom Tod selbst im Grab festgehalten werden kann?
Ich habe sehr lange nichts mehr von Dean Koontz gelesen – ein böser Fehler. Das Buch ist wahnsinnig gut, und der Autor ist es auch. Natürlich sprachlich, aber auch was seinen Ideenreichtum angeht. Bis ins kleinste Detail. Ich sage nur: Geisterhund!
Zum Buch gibt es übrigens auch eine Vorgeschichte: Die schwarze Feder. Allerdings ist es nur als eBook erhältlich, was ich sehr, sehr schade finde. Ich selbst besitze keinen eBook-Reader, aber immerhin gibt es auch eine Möglichkeit, das Buch am Rechner zu lesen ... aber davon werde ich in einer anderen Rezension berichten!
Übrigens beginnt Koontz' Roman damit, dass er bemerkt, dass Zeit und Ort der Geschichte unwichtig seinen. Die Zeit ist jederzeit, der Ort ist überall." Und wir bekommen das beklemmende Gefühl, dass dies stimmen könnte. Wir leben in einer kranken Welt, und Koontz hat es geschafft, uns einen Blick darauf werfen zu lassen, der viel zu tief geht, als dass man danach noch ruhig schlafen könnte. Für eine Zeit lang, oder vielleicht auch jederzeit.
Auf der Verlagsseite von Radom House äußert sich der Autor über Der Rabenmann und Die schwarze Feder - und nebenbei erfahren wir auch, wie Koontz' Ehefrau nachts ruhig neben Ihm schlafen kann, wo sie doch weiß, welche Geschichten seinem Gehirn entspringen...