Reihe: Amygdala Eine Besprechung / Rezension von Thomas Backus
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Es gibt Autoren, die hauen Romane raus, als wären das Fertighäuser. Andere Autoren schreiben lieber Kurzgeschichten und lassen sich Zeit mit dem veröffentlichen.
Dass ihr literarisches Schaffen dennoch wert ist, beachtet zu werden, zeigt diese Storysammlung. Malte S. Sembten hat hier Storys zusammengetragen, die in verschiedenen Anthologien veröffentlicht wurden, und einige, die bisher dem geneigten Leser noch nicht zur Verfügung standen. Eine gute Sammlung, die ich in einem Rutsch verschlungen habe!
Dhormengruul
Ein junger, bis dahin erfolgloser Autor bekommt eine Einladung nach Arkham, wo ihm ein mit 20.000 Dollar dotierter Literaturpreis übergeben werden soll. Das freut ihn besonders, weil er seiner ach so perfekten Freundin nun zeigen kann, dass seine Schreiberei doch kein nutzloses Talent zu sein scheint...
Lovecraft-Fans werden die Stadt Arkham kennen. Dort treiben Hexen ihr Unwesen. Und außerdem hat im Jahr 2006 der Basilisk Verlag eine Anthologie mit dem Titel Arkham – Ein Reiseführer herausgebracht. Für diesen war die Geschichte ursprünglich geschrieben worden (und sie hätte die insgesamt schon sehr gelungene Anthologie sicherlich bereichert). Nach einem Umweg über Arcana No. 9, bildet sie nun die Titelgeschichte zu diesem Buch, was sicherlich ein vergleichbares Zuhause ist.
Ziemlich genial finde ich die Eigenschaft der Freundin, Papier zu falten. Das, was man in der übrigen Welt Origami nennt, heißt Orimagie. Wirklich klasse!
Eine tolle Geschichte – nicht nur für Lovecraftianer.
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Eine junge Frau findet in einem Antiquariat ein Buch von 1886, in dem eine eMail-Adresse abgedruckt ist. Als Büchersammlerin und –kennerin schließt sie aus, dass es sich um eine Fälschung handelt. Ihre Recherchen ergeben, dass das Satzzeichen @ tatsächlich in früherer Zeit unter unterschiedlichen Bedeutungen verwendet wurde ... als sie dann trotzdem eine Mail an diese Adresse absendet...
Sehr bizarr! Diese Geschichte entstammt der Anthologie m@usetot 2.0, dem zweiten Band mit furchtbar fiesen Webgeschichten, die Malte im Verlag Robert Richter herausgab.
Brandopfer
Das sind ja Stasi-Methoden! Irgendwie. Denn als ein Medium einen Antrag stellt, in den Westen auszuwandern, wird es ins Büro der Stasi zitiert. Denn die Genossen knabbern da an einem Fall mit spontaner Selbstentzündung.
Wie sagt der Stasi-Beamte so schön:
Das Paranormale hat im Sozialismus keinen Platz. Irrationale Phänomene und ähnliche Zersetzungserscheinungen sind dem rückschrittlichen System des Klassenfeindes vorbehalten. Daher ist es erforderlich, diesen Vorkomnissen auf den Grund zu gehen und ihre Ursache zu neutralisieren.
Der Genosse Hellseher wird also in ein haus verfrachtet, in dem schon drei Menschen vor ihm zu verkohlten Rückständen transformiert wurden...
Außergewöhnlich, und auch außergewöhnlich gut!
Memory-TX
Seit Frankenstein befassen sich alle Autoren des unheimlichen Genres mit verrückten Wissenschaftlern, die aufgrund ihres verwerflichen Könnens moralische Grenzen überschreiten.
Der Wissenschaftler in Malte S. Sembtens Geschichte ist nicht verrückt, er hat nur die finanziellen Möglichkeiten illegaler Transaktionen erkannt. In einer Zeit, in der Organe transplantiert werden können, ist es gefährlich jung und gesund zu sein. Seit man Gehirne transplantieren kann bildet die Schönheit einen weiteren Risikofaktor. Doch dann wird die Technik entwickelt, Gedanken zu übertragen. Gesamt, oder in Stücken, und das bietet ungeahnte Möglichkeiten...
Ein ganz neuer Ansatz von gewohnt erschreckender Qualität.
Ali
Eine junge Frau findet im Internet den perfekten Mann. Natürlich hat die Sache einen Haken...
Die einzige Geschichte, die mir nicht so recht gefällt. Ziemlich vorhersehbar. Aber wenigstens schön geschrieben.
Das Hexenhaus
Und nun kommt die ungewöhnlichste Geschichte von allen. Klar, das Hexenhaus hat unzählige Autoren inspiriert, auch den Altmeister Lovecraft. Aber...
Irgendwann in der Zukunft sind Kulturgüter wichtiger als Menschen. Irgendeine Macht wirft Neutronenbomben gezielt über Städten ab, um die Bevölkerung auszulöschen. Den nachfolgenden Säuberungstrupps wird nahegelegt, die überlebenden mit möglichst geringem Sachschaden zu eliminieren.
In diesem Spähpanzer ist eine Gruppe Soldaten unterwegs, die eben jenen Auftrag ausführen. Einer von ihnen hat einen Reiseführer dabei, der auf besonders schützenswerte Objekte aufmerksam macht.
Der Einsatz von modernem Kampfgerät und Cyborgs in die mittelalterliche Welt der Hexerei einzuführen, das ist schlichtweg genial. Diese Geschichte ist durch und durch klasse, und gruselig ist sie auch!
Books On Deman
Wie Malte S. Sembten zeigt in dieser kurzen Geschichte eine ganz neue Möglichkeit im Verlagswesen auf. Dieser Sammler ist jedenfalls begeistert.
Einfach nur gut.
Jagdausflug
Ein außerirdischer Jäger sucht di Erde heim, um dort eine der beiden jagendswerten Trophäen zu ergattern: Einen Wal, oder einen Menschen. Er entscheidet sich für den Menschen, aber nur, weil man ihm ein besonders prächtiges Männchen als Trophäe in Aussicht stellt.
Da diese Geschichte aus der Sicht des Außerirdischen geschildert wird, bedient sie sich einer köstlicher Exotik. Der Erzähler schildert Dinge, die zu unserem selbstverständlichen Alltag gehören, von dem Wesen jedoch nicht ins einer Art verstanden werden. Das ist dem Autor sehr gut gelungen. So toll kann Science Fiction sein!
Der Blutfalter
Der Mississippi ist ja bekannt für seine Schaufelraddampfer, und die berüchtigten Pokerspiele, die auf ihnen stattfanden. Hier wird Poker zudem noch mit russischem Roulette kombinieren. Eine wahrhaft blutige Mischung.
Wieder sehr außergewöhnlich, und auch wieder außergewöhnlich gut!
Die rote Kammer
Das beste kommt zum Schluss. Ein Mönch wird gefoltert. Immer und immer wieder. Er möchte sich gerne der Folter durch Selbstmord entziehen – aber das verbietet ihm die Religion. Schließlich ist Selbstmord eine der Todsünden...
In dieser eindruckvollen Geschichte setzt sich Malte S. Sembten mit einer der grundsätzlichsten Fragen des denkenden Individuums überhaupt auseinander. Was kommt danach? Und was ist, wenn das Danach ganz anders ist, als man es sich vorstellt?
Das Buch ist ein Sammelband – und das in doppelter Bedeutung. Denn einerseits werden hier Kurzgeschichten gesammelt und als Storyband präsentiert, zum anderen ist die gesamte Aufmachung die eines geschmackvollen Sammlerobjektes, welches das Herz eines jeden Bibliophilen höher schlagen lässt.
Sehr schön sind die abschließenden Nachbemerkungen zu den Erzählungen, in denen der Autor etwas über die Entstehung und der einzelnen Geschichten verrät.
Das Nachwort von Uwe Vöhl ist sehr privater Natur und verrät uns noch einiges über den Menschen und Autoren Malte S. Sembten. Er rundet das Buch ab.
Malte S. Sembten schreibt keine Massenware (dann wäre dieses Buch sicherlich auch nicht auf 111 Exemplare limitiert). Dies ist kein Buch über Helden, welche in einem glorreichen Kampf gegen das Böse siegen. Wer also auf die Strickmuster der Hollywood Blockbuster abfährt, wird hier enttäuscht sein. Stattdessen finden wir hier sehr unterschiedliche Storys von erlesener Qualität. Wer auf Originalität wert legt, statt auf Kommerz, der sollte hier unbedingt zugreifen, bevor die Bücher vergriffen sind!