Serie / Zyklus: ~ Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Der amerikanische Phantastikautor Lucius Shepard wurde hierzulande bereits seit Jahren nicht mehr verlegt. Seine Romane und Kurzgeschichten wurden noch Mitte/Ende der achtziger Jahre beim Heyne-Verlag und auch bei Bastei-Lübbe veröffentlicht. Kaum eine der von Wolfgang Jeschke herausgegebenen Kurzgeschichtenanthologie kam damals ohne eine Story des Amerikaners aus. Neben diesen Kurzgeschichten wurde er hierzulande besonders durch seine Romane "Grüne Augen" und "Das Leben im Krieg" bekannt. Es folgte ein wenig später mit "Kalimantan" ein kürzerer Roman und dann war mehr oder weniger Schluß. Hin und wieder fanden sich Nachdrucke seiner erfolgreichsten Erzählungen in Storysammlungen wie "Ikarus 2001" wieder. Völlig untergegangen ist sein Vampirroman "The Golden" aus dem Jahre 1993, der bei Bastei-Lübbe 1997 als Taschenbuch unter dem Titel "Die Spur des goldenen Opfers" erschien.
Als eigenständig publizierter Autor war er aber im deutschsprachigen Raum seit Jahren nicht mehr präsent, was nicht daran lag, dass er keine Geschichten mehr zu erzählen hatte. Er wurde halt einfach nicht mehr übersetzt und fiel dem allgemeinen Niedergang der SF zum Opfer.
Joachim Körber und Uli Kohnle ist es zu verdanken, dass dieser ungewöhnlich Autor nun in deutschsprachiger Übersetzung verlegt wird. Mit "AZTECH" liegt als erster Band der neuen Phantasia Paperback Science Fiction-Reihe eine Novelle aus dem letzten Jahr vor. Weitere Werke, des entdeckenswerten Autoren Lucius Shepard, sollen folgen.
AZTECH behandelt eine für Lucius Shepard typische Thematik. Die Vereinigten Staaten von Amerika, die sich bereits seit Jahren in einem schmutzigen Krieg mit einigen mittel- und südamerikanischen Ländern befinden, haben ihre Grenze zu Mexiko mittels eines Laserzauns völlig "dicht gemacht". Illegale Grenzübertritte sind nur noch möglich, wenn die Kasse stimmt. Ansonsten hat sich das reiche Amerika total von seinem südlichen Nachbarn abgegrenzt, beutet es aber weiterhin aus. Entlang dieser über 1000 Meilen langen Grenze ist eine gigantische Stadt, El Rayo, entstanden, die beherrscht wird von Drogenkartellen und kriminellen Banden.
Haupthandlungsträger der Novelle sind der Inhaber einer Personenschutzfirma Eddi Poe und seine Freundin/Geschäftspartnerin Guadelupe Bernal, die einen One-Woman-Fernsehsender betreibt. Beide sind jung, haben schon einiges mitgemacht in diesem Höllenkessel von Stadt und versuchen die gesellschaftliche Leiter nach oben zu klettern. Ein Auftrag für Poe Sicherheitsfirma führt die beiden einmal mehr zusammen. Poe soll den Personenschutz für einen Abgesandten der High-Tech-Firma AZTECH bei den Verhandlungen mit einem der einflußreichsten Kartelle El Rayos stellen. Hinter AZTECH steht eine dem US-amerikanischen Militär entkommene KI, die sich gleich hinter der Grenze ein neues Reich schaffen konnte.
Die Verhandlungen verlaufen so gar nicht nach Poes Vorstellungen. Ehe sich Poe und Lupe versehen finden sie sich in einem Kugelhagel wieder, in dem ihr Klient schwer verwundet wird. Das diese Situation aber von anderen Kräften dazu benutzt wird, um einen Angriff auf die KI Montezuma zu starten, bemerken beide erst, als sie mitten drin stecken.
Mit "AZTECH" verfaßte Lucius Shepard eine Novelle, die über den gleichen politischen Hintergrund verfügt wie viele seine Kurzgeschichten und Romane, die bereits vor nunmehr zwanzig Jahren entstanden. Mittelamerika ist fest im Würgegriff der USA, die militärisch und wirtschaftlich die Länder in den Ruin treiben und von sich abhängig machen. Die Bürger der USA bekommen von dem Leben jenseits der Grenze rein gar nichts mit, zumal Shepard in dieser Novelle sogar einen undurchdringlich erscheinenden Laserzaun benutzt, um dieses Nichtwissen oder Nichtwissen-wollen zu verdeutlichen.
Im Vordergrund steht weniger die politische Aussage, sondern mit Eddi und Lupe zwei Menschen, die es in dem Moloch El Rayo zu etwas bringen wollen. Die durch die erlebten Geschehnisse endlich zueinander finden und sich ihre wahre Liebe, jenseits von allem geschäftlichen, eingestehen können. Geschehnisse, deren Wirklichkeitsgehalt und Hintergründe von ihnen lediglich ansatzweise verstanden werden und auf einer für sie beide nicht faßbaren Ebene ablaufen.
Die Novelle verfügt zudem über eine starke, sexuelle Komponente, anhand derer ebenso die Entwicklung zwischen den beiden Hauptfiguren erkennbar und erläuterbar ist. Auch dies findet sich in anderen Werken des Autors wieder.
"AZTECH" dürfte viele Leser dazu bewegen einmal in ihre Regale zu schauen und sich die längst vergessenen Romane und Kurzgeschichten Shepards noch einmal vorzunehmen. Als Auftakt einer ganzen Reihe von Shepards Werken kann man "AZTECH" als eine gelungene Wahl bezeichnen. Es gilt einen altbekannten Autoren neu zu entdecken.