Serie: Kinder der Erde, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Während der letzten Eiszeit erschüttern Erdstöße die urzeitliche Erde, und die Höhle eines Stammes Frühmenschen stürzt ein. Nur das kleine Mädchen Ayla überlebt und ist nach dem Angriff eines Löwen dem Tode nah. Ein Stamm Neandertaler findet das Mädchen, und die Heilerin Iza überredet den Häuptling Brun, das Mädchen, das offensichtlich zu den Anderen (einer neuen Form des Menschen, die in jüngster Zeit zugewandert sind) gehört, bei sich aufzunehmen und zu pflegen. Wie durch ein Wunder überlebt das Mädchen und Iza adoptiert die Kleine. Bald jedoch werden die Unterschiede offenbar. Anders als die Neandertaler, die Erinnerungen und Fähigkeiten vererben, müssen die sogenannten Cro-Magnon-Menschen alles lernen. Dafür ist jedoch ihr Gehirn flexibler und leistungsfähiger. Auch können sich die Neandertaler aufgrund der Schädelanatomie nur schwer verbal unterhalten und kommunizieren deshalb mit Handzeichen. Es dauert eine Weile, bis das Mädchen dieses System versteht. Als heranreifende Frau wird jedoch der Unterschied zwischen beiden Gattungen immer mehr offenbar. Ayla wird größer als der größte Mann des Clans, und wegen ihres wachen Geistes fügt sie sich nicht in die klare Rangordnung des Stammes ein, nach der die Frauen den Männern vollständig untergeordnet sind. Vor allem Broud, der Sohn des Häuptlings, sieht sich durch Ayla ständig provoziert und versucht immer wieder ihr das Leben zur Hölle zu machen. Doch Ayla ist hart im Nehmen, und Brun, der Häuptling, sowie Iza, die Heilerin, wachen schützend über sie. Immer jedoch wird dieser Schutz nicht halten, denn Brun und Iza sind alt und ihre Tage gezählt.
Autorin Jean M. Auel hat sich für ihren Roman ein interessantes Setting ausgesucht: das Zusammentreffen von Neandertalern und normalen Menschen. Hierzu wurde schon viel spekuliert, und endgültige Antworten gibt es keine. Man weiß nur, dass Homo sapiens und Homo neandertalensis einige Jahrtausende parallel in Europa lebten und dann die Neandertaler verschwanden. Doch die Autorin stellt diesbezüglich keine Hypothese auf, sondern versucht vielmehr einen Entwurf der Lesensweise der Neandertaler. Verifizieren kann ich das nicht, aber die Bücher werden oft als gut recherchiert bezeichnet. Und das, was nicht belegbar ist, ergänzt die Autorin mit Wissen über Naturvölker. So entsteht ein durchaus plausibles Bild der Neandertaler und deren Lebensweise. Doch es gibt Bereiche, in denen Jean M. Auel stark spekuliert. So unterstellt sie den Neandertalern einen Verstand, der stark auf weitervererbtes Wissen aufbaut. Dieser Ansatz, dass diese Menschen auf Wissen vorangegangener Generationen zurückgreifen können ist faszinierend und nicht so abwegig, wie man glauben möchte; denn bei Tieren stößt man auch hier und da auf diese Fähigkeit. Auf jeden Fall ist dieser Aspekt sehr interessant und erhöht das Lesevergnügen.
Die Figur der Ayla ist überzogen, denn die Protagonistin kann einfach zu viel. Ihre Fähigkeiten, den Widersachern Paroli zu bieten, sind zu stark und am Rande der Unglaubwürdigkeit. Allerdings sollte man sich nicht zu sehr darauf konzentrieren, denn Jean M. Auel wollte einen Roman schreiben und keine wissenschaftliche Abhandlung, die sicherlich nicht so gut zu lesen gewesen wäre. So aber kam ein Roman heraus, der spannend ist und Spaß macht. Die Geschichte hat alles, was ein guter Roman braucht, und der Einblick in die urzeitliche Welt ist interessant und unterhaltsam zugleich. Einziger Kritikpunkt der deutschen Ausgabe ist, dass der Heyne Verlag nicht den Mut aufbrachte, die Titel der ursprünglichen Übersetzung zu ändern, um sich mehr an den Originaltiteln zu orientieren. Das Ayla am Anfang jeden Titels ist überflüssig und vermittelt dem Betrachter des Buchs Assoziationen mit einem Jugendbuch oder den Angélique-Romanen. Beides ist falsch, und auch wenn die Protagonistin zunächst jung ist, handelt es sich keinesfalls um ein Jugendbuch. Genau diese Assoziationen haben mich lange davon abgehalten, die Romane zu lesen.
9 von 10 Punkten.
Die Übersetzung dieses guten Buchs ist allerdings wenig gelungen. Irgendwie wurden Kapitel 3 und 4 verschmolzen, und die Übertragung ins Deutsche wirkt nicht selten unbeholfen. Die Englischkenntnisse der Übersetzerin kann man auch guten Gewissens als bestenfalls grundlegend bezeichnen. Hierzu ein Beispiel:
Originaltext: Zoug and Dorv examined the mighty young bull with admiration, tinged with nostalgia for the excitement of the chase and the thrill of success, forgetting the dangers and the disappointments that were part of the arduous adventure of hunting big game. | Übersetzung: Zour und Dorv musterten das erlegte Tier mit großen Augen, die ganz winzig, aber doch sichtbar eine heimliche Sehnsucht nach der prickelnden Erregung der Jagd und dem berauschenden Hochgefühl des Beutemachens erkennen ließen, denn die Gefahren und Enttäuschungen, die Hauptteil ihres Lebens waren, hatten sie vergessen. |
Ich will jetzt nicht auf die Schwächen dieser Übersetzungen eingehen, ich denke, sie spricht für sich selbst in ihrer Plumpheit und Falschheit. Ich gebe ja zu, dass Partizipien in ihrer englischen Eleganz nicht gut ins Deutsche übertragen werden können und Autoren mit einem solchen Stil schwer zu übersetzen sind, aber diese Übersetzung strotzt vor Hilflosigkeit. Wenigstens bewirkte der Wechsel des Verlags hin zum zweiten Band auch einen Wechsel des Übersetzer (auch wenn man keine Neuübersetzung oder zumindest eine Überarbeitung in Auftrag gegeben hatte). Wollen wir hoffen, dass solch miese Übersetzungen seltene Einzelfälle sind.