Serie/Zyklus: Otherland, Band 1 Eine Besprechung / Rezension von Rupert Schwarz |
Erzähler: Hans Peter Hallwachs, Nina Hoss, Ulrich Matthes, Peter Mati, Jutta Hoffmann, Christian Berkel, Jochen Nix, Eva Gosciejewicz, Samuel Weiss, Peter Fitz, Dörte Lyssewski, Andreas Fröhlich
Hauptrollen: Sylvester Groth, Sophie Rois, Jens Harzer, Ernst Jacobi, Nora Hickler, Matthias Habich, Matthias Koeberlin, Simeon Iwantscheff, Andreas Pietschmann, Julia Hummer, Ulrich Noethen, Judith Engel, Werner Wölbern, Meret Becker, Leslie Malton, Philipp Heilmann-Ramirez
In einer nahe liegenden Zukunft sind virtuelle Kunstwelten, die dem User ein vollkommenes Eintauchen in die Welt seiner Wünsche ermöglichen, längst Realität. Neuronalverbindungen machen die Simulationen perfekt und man kann sogar Essen und Trinken perfekt nachempfinden. Die Geschichte beginnt mit Renie Sulawayo, einer Dozentin an der Hochschule in Durban. Ihr äußerst talentierter Student !Xabbu will eine Simulation entwickeln, die virtuell sein Volk am Leben erhält, denn die kleinwüchsigen Buschleute sterben aus. Renie selbst hat ganz andere Probleme. Ihr 13-jähriger Bruder Stephen ist nach einem Ausflug in eine virtuelle Welt nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Sein Geist hängt nach wie vor in der simulierten Welt fest. Renie stößt auf eine Verschwörung und bald muss sie um ihr Leben bangen. Für sie gibt es nur noch den Weg nach vorn.
Doch Otherland ist auch die Geschichte von Paul, einem Mann, der an der Front von Verdun Übersinnliches erlebt und mit Geschöpfen des Himmels und der Hölle in Berührung kommt. Ist das die Wirklichkeit oder nur eine Simulation? Orlando Gardiner und sein Freund Fredericks wissen ganz genau, dass sie sich in einer virtuellen Fantasy-Welt bewegen - und dies seit Jahren. Immer wieder treffen sie sich zu ausgedehnten Spielsimulationen, doch dann stellt Orlando fest, dass Manipulationen stattgefunden haben, und auch er forscht nach. Bald stellt sich heraus, dass viel mehr dahinter steckt, als nur ein einziger, harmloser Hack. Antwort kann nur ein alter Programmierer mit Namen Patrick Sellars geben, doch dieser bangt inzwischen um sein Leben.
Vor Jahren versuchte ich einmal Otherland auf Englisch zu lesen und scheiterte. Diese sehr kompakte und komplexe Geschichte hatte mich trotz meines durchaus recht guten Englisch überfordert und das Buch stellt auch in der deutschen Übersetzung eine Herausforderung für den Leser dar. Es dauert eine Weile, bis sich die Puzzleteile zusammensetzen und der Leser das gesamte Bild erkennen kann. Von diesem Zeitpunkt an ist es für den Leser ein Einfaches, der Geschichte zu folgen, aber man muss halt bis zu diesem Punkt vordringen.
Man muss Tad Williams Achtung zollen, dass er so ein Werk geschrieben hat, denn stets hat Williams den Überblick auf sein gutes Dutzend Protagonisten behalten. Das ist schon eine beachtliche Leistung. Die Idee zu diesem Buch (vor allem zu den folgenden drei Büchern) ist eigentlich sehr nahe liegend und doch war Williams der Erste, der diese Idee umgesetzt hat: Er verschmolz Cyberpunk mit Fantasy, indem er die Protagonisten durch virtuelle Welten irren ließ. Um diesen offensichtlichten Bruch - Cyberpunk und Fantasy passen nun wirklich nicht zusammen - noch zu verdeutlichen, stellt er an den Beginn seiner Kapitel immer sogenannte Netfeed-Nachrichten, die Klatsch und Tratsch aus der Welt von morgen wiedergeben.
Ist nun das Experiment geglückt? Die Antwort kann nur Ja lauten. Die Grenzen zwischen SF und Fantasy sind fließend und dem Autor gelingt das Kunststück, alles so zu schreiben, als ob es zusammengehörte. Eine reife Leistung. Man hätte sich nur gewünscht, dass der Einstieg in das Werk sich weniger schwierig gestaltet hätte.
8 von 10 Punkten für das Buch
Die Hörspielfassung dieses Werks war ein sehr ambitioniertes Projekt. Als der Hessische Rundfunk die Produktion dieses Stoffes plante, herrschte zunächst ungläubiges Kopfschütteln, doch Regisseur Walter Adler machte Ernst und schöpfte aus dem Vollen. Mit 24 Stunden (alle 4 Bücher) ist dies eine der längsten Hörspielproduktionen überhaupt, und um die Geschichte strukturell verständlich zu vermitteln, wurden die insgesamt 12 Handlungsebenen mit 12 verschiedenen Sprechern als Erzähler besetzt. Mit knapp 20 weiteren Hauptrollen und des weiteren über 200 Nebenrollen stellt diese Produktion alles in den Schatten, was es zuvor gab. Dabei ist die Produktion keineswegs überladen. Für ein Hörspiel herrschen hier leise Töne vor und es wird verhältnismäßig wenig auf akustische Effekte oder Musik zurückgegriffen. Doch all das trägt dazu bei, dass die Geschichte trotz großer Kürzungen (Buch: 900 Seiten - Hörspiel: 360 Minuten) ihren Charme nicht verliert und dem Original treu blieb. Dies ist eine wirklich gelungene Umsetzung. Die volle Punktzahl bleibt nur deswegen verwehrt, weil ich mir doch weniger Kürzungen gewünscht hätte, aber das hätte wohl jeden Rahmen für eine Radioproduktion durchbrochen.
9 von 10 Punkten für das Hörspiel