Titel: Artikel 5
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Plötzlich kehrte Stille ein. Es war, als hätten wir ein unsichtbares Kraftfeld durchquert. Der Lärm der Menge auf dem Platz hielt immer noch an, aber in der Gasse herrschte vollkommene Stille, abgesehen von dem Rascheln einiger Ratten, die hinter einem überquellenden Müllcontainer verschwanden. Ich sah ein oder zwei Leute, die uns nachblickten, als ich fortgeschleppt wurde, aber auch, wenn sich ihre Augen kurz weiteten, wandten sie den Blick furchtsam gleich wieder ab. Ich war allein mit dem Soldaten.
INHALT:
Seit dem Ende des Krieges drei Jahre zuvor ist nichts mehr, wie es einmal war - viele Städte sind zerbombt und wurden evakuiert und die Macht besitzt nun das Federal Bureau of Reformation. Dieses hat Artikel erlassen, die von der Bevölkerung einzuhalten sind, andernfalls drohen Geldbußen oder sogar der Tod.
Eines Tages stehen Soldaten vor der Tür der jungen Ember - und nehmen sie und ihrer Mutter in Gewahrsam wegen Verstoßes gegen Artikel 5. Denn Ember ist ein uneheliches Kind und damit kein vollwertiger Staatsbürger. Mutter ud Tochter werden getrennt, und das junge Mädchen kommt in eine Schule zur Resozialisierung, wo sie Schikane und Gewalt erwarten. Schnell ist Ember klar, dass sie fliehen muss, koste es, was es wolle...
MEINE MEINUNG:
Kristen Simmons Trilogie-Auftakt "Artikel 5" hebt sich definitiv von anderen Dystopien ab, das wird schnell klar. Schon die oft schonungslose Brutalität, der geringe Romantik-Anteil und das unverkitschte System machen dies sehr deutlich. Zudem bedient sich die Autorin eines gefühlvollen, flüssigen, detailreichen und sehr atmosphärischen Schreibstils, der einem die Ich-Erzählerin Ember schnell näher bringt.
Diese ist anfangs ein eher unsicheres und ängstliches Mädchen, das sich, um nicht gegen einen der Artikel zu verstoßen, eher im Hintergrund hält. Sie beweist zwar von Anfang an Mut, ist aber ansonsten eher etwas naiv und weinerlich. Dies ändert sich im Verlauf der Handlung jedoch stark und aus ihr wird eine starke und sehr sympathische Kämpferin, die man gut verstehen kann. Chase, Embers ehemaliger Kumpel und ihre große Liebe, eingezogen vom Militär und nun zurück, ist ihr Helfer in der Not, aber auch derjenige, der sie immer wieder zurückstößt. Dennoch schließt man ihn als Leser schnell ins Herz, ist doch immer klar, dass er gute Absichten und das Wohlbefinden seiner Lieben im Sinn hat.
Da sich die Story zum größten Teil auf die Suche nach Embers Mutter beschränkt, gibt es recht wenige Nebencharaktere - diese sind aber für ihre wenige Präsenz durchaus glaubwürdig gezeichnet. Einige Figuren, denen man am Anfang begegnet, tauchen später auch noch einmal auf und werden für die Geschichte enorm wichtig. Im Gedächtnis bleibt einem aber wohl am meisten der skrupellose Soldat Tucker, der ohne Rücksicht auf Verluste und mit erschreckender Emotionslosigkeit nur auf sein Weiterkommen auf der Karriereleiter aus ist. Dabei ist er zwar ein wenig klischeehaft gezeichnet, aber seine böse Art macht ihn dennoch sehr faszinierend.
Während das neue System, das in Dystopien ein Muss ist, in anderen Werken dieses Genres oftmals [zumindest anfangs] ein akzeptiertes Gut ist, so ist der Protagonistin in "Artikel 5" doch von Anfang an mehr oder weniger bewusst, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Auch, wenn ihr die Ausmaße nicht komplett klar sind. So dauert es auch nicht lange, bis hier das erste Mal rebelliert wird, und das gefällt. Der Autorin gelingt es überragend gut, Spannung aufzubauen und den Lesern zu fesseln, dabei aber eigentlich immer glaubwürdig zu bleiben - selbst dann, wenn es, vor allem menschlich gesehen, brutal wird.
Und auch die Liebesgeschichte weiß zu überzeugen - denn Ember liebt Chase bereits, als sie ihm wieder begegnet, und so gibt es hier keine überstürzten Gefühle auf den ersten Blick. Stattdessen darf der Leser ein sehr schönes, langsames und kaum kitschiges Herantasten erleben, das in seinem geringen, aber doch romantischen, Vorkommen überzeugt. Auch das Finale wirkt durchdacht und glaubwürdig, dabei bleiben die Spannung und auch ein kleines bisschen Herzschmerz nicht auf der Strecke. Das Ganze mündet in einen neugierig machenden Schluss ohne Cliffhanger, der absolut überzeugt - und ganz sicher klar macht, dass Band 2 ein definitives Muss ist.
FAZIT:
"Artikel 5" ist von der Ausarbeitung her eine Dystopie, an der sich andere Autoren ein Beispiel nehmen könnten - durchdacht, spannend und logisch erzählt Kristen Simmons hier eine Geschichte, die nicht mehr loslässt. Die Romantik spielt dabei eine untergeordnete Rolle, weiß aber dennoch zu überzeugen, und die Charaktere machen glaubwürdige Entwicklungen durch, sodass sie für den Leser verständlich sind. Eine klare Leseempfehlung und sehr gute 4,5 Punkte von mir!