| Titel / Originaltitel: Anno 2222 - Ein Zukunftstraum Eine Besprechung / Rezension von Jürgen Eglseer |
Zwei Handlungsebenen bestimmen den 1905 von Albert Daiber geschriebenen Roman. Einerseits wird eine utopische Katastophe geschildert, als der Mond mit der Erde zusammenprallt und einen ganzen Kontinent aus dem Globus "herausstanzt". Eng verknüpft ist dies mit der eigentlichen Grundlage des Romanes, einer satirischen Abrechnung der Politik des frühen 20. Jahrhunderts.
Die "Weltposaune" ist die grösse Zeitschrift der Vereinigten Staaten von Europa im Jahre 2222 - ihr Besitzer, Katzbuckel, widmet sich im ersten Kapitel einer leidenschaftlichen Abrechnung der Ereignisse im Jahre 1905 und gibt den Fehlern der damaligen Politikern die Schuld an den Problemen seiner Zeit. Amerika und das Vereinigte Europa stehen sich feindlich gegenüber: während man in der alten Welt sich als Erbe der adeligen und kulturreichen Nationen sieht, wird Amerika als ungehobelter Politikcowboy dargestellt. Entsprechend sind auch Katzbuckels Äusserungen der neuen Welt gegenüber. Auch England wird aufgrund seiner Anbiederung an die Japaner nicht ausgelassen - wer sich in der Geschichte etwas auskennt, weiss, dass es dann ironischerweise ganz anders kam.
Erheblicher Bestandteil Katzbuckels und damit Daibers Kritik ist der Kurs der eigenen Regierung im Jahre 1905, der eher der eines betrunkenen Autofahrers ähnelt als einer geradlinigen Wegstecke - und mitten in Katzbuckels schönster verbaler Fehde gegen die alten Nationalstaaten erreicht ihn eine Depesche aus Amerika, in denen sich die dortigen Herrscher mehr als künstlich über den Namen des europäischen Staatsgebildes aufregen. Man gibt Europa eine Frist von 22 Tagen, um den Namen zu ändern und einige peinliche diplomatische Gesten zu vollführen, ansonsten soll Krieg herrschen.
Der wissenschaftliche Berater der Weltposaune, Professor Kannegieser, berichtet jedoch von dem ungewöhnlichen Phänomen, dass der Mond sich immer weiter der Erde nähere und schlussendlich mit ihr zusammenstossen wird. Da sich der magnetische Pol auf amerikanischen Gebiet befindet, soll es dabei nicht die Falschen treffen. Katzbuckel genehmigt eine Expedition ins künftige Katastrophengebiet, insbesondere in die südlicheren Gefilde des amerikanischen Einflussbereiches, da im Pazifik eine vor unzähligen Jahren untergegangene Insel durch den Einschlag wieder aufzutauchen verspricht - und man möchte sich natürlich die entsprechenden Rechte sichern...
Zusammen mit einem englischen und einem französischem Professor macht man sich auf die Reise über den Atlantik, durch den Panama-Kanal in den Pazifik. Die Gestalten der Fahrt spiegeln auch hier wieder Daibers politischen Witz wieder - der Kapitän des Schiffes, ein Amerikaner, wird nicht nur Monkey genannt, sondern führt sich auch entsprechend auf.
Während Daiber zum französischen Professor, Frankreich ist ja eigentlich der Erzfeind des Deutschen Reiches, eine Brücke des Wohlwollens schlägt und ihm als Bruder im Geiste bezeichnet, kommt der englische Wissenschaftler nicht so gut davon. Vom Abfall von Moral und Sitte mal abgesehen - der alte Knabe bringt sich aus Paris glatt einige junge Mädels mit an Bord - wird England hier nicht nur als verlottert bezeichnet sondern als Gebilde beschrieben, das man eben mitnimmt, weil es nicht anders geht. Mögen muss man das aber gar nicht - und das wird in vielen Beschreibungen und Dialogen Daibers klar.
Das der Mond am Ende des reichlich durch Reden und Handlungssprüngen zerrütteten Romanes den kompletten amerikanischen Kontinent herausschlägt und dieser als neuer, gar bewohnter Trabant die Erde umkreist, ist zwar reichlich utopisch. Politisch gesehen aber ist es eine allzu leichte Lösung der Probleme mit der neuen Welt und hier drückt sich Daiber mit der genaueren Auseinandersetzung mit den entsprechenden Schwierigkeiten. Gerade das wäre jedoch interessant gewesen.
Was mich bei der Lektüre am meisten erstaunt hat, sind die allzu deutlichen Parallelen zwischen der damaligen, von Daiber kritisierten politischen Grosswetterlage und den heutigen Verhältnissen. Viel hat sich offenbar seit 1905 nicht getan, was die Beziehungen zwischen den Staaten und deren Meinungen übereinander betreffen - oder die Geschichte wiederholt sich:
Der Roman Albert Daibers ist nur noch antiquarisch erhältlich und durch den Druck in Frakturschrift auch nur erschwert zu lesen. Auch wenn die Handlung des Romans nicht zu den Glanzlichtern früher deutscher Phantastik zählt und etliche Schwächen aufweist, so ist der Roman trotzdem und gerade wegen der politischen Parallelen ein interessantes und lesenswertes Stück Science Fiction. Deswegen ein Lob an Dieter von Reeken, der das Buch nicht nur in die heutige Schrift umgesetzt und ihm ein ansprechendes Erscheinungsbild gegeben hat, viele Faksimiles der Originalausgabe und eine ausführliche Beschäftigung mit dem Roman ergänzen das Werk.
Empfehlenswert für jeden Liebhaber der frühen Phantastik