|
Reihe: Annabelle Rosenherz, Band 1
Eine Rezension von Christel Scheja |
In deutschen Land hat Selfpublishing einen schlechten Ruf, was daran liegen mag, dass es sehr viele Werke gibt, die nicht ohne Grund von Verlagen abgelehnt wurden, weil sie stilistisch und inhaltlich nicht gerade überzeugen konnten. Manchmal gibt es aber auch Werke, bei denen man sich fragt, warum kein Verlag zugegriffen hat, da sie zu den Perlen unter den Independent-Romanen gehören und nicht nur mit Konventionen brechen, sondern zudem auch noch sehr viel Lesespaß bringen, weil die Gesamtkomposition stimmt. Eines dieser herausragenden Bücher ist „Aetherherz“ von Anja Bagus.
Baden-Baden im Jahr 1910. Seit der Jahrhundertwende steht der Aether als grüner Nebel über vielen Gewässern auf. Einigen findigen Männern ist es gelungen, die Substanz als Energiequelle nutzbar zu machen. Die Industrie floriert, Luftschiffe bevölkern die Himmel, die allein durch die Kraft des Aethers fliegen und viele Maschinen arbeiten noch effektiver als früher.
Den Menschen hingegen schadet der Aether und verwandelt jene, die all zu oft mit ihm in Kontakt kommen zu Kreaturen, wie sie sonst nur in Märchen und Sagen vorkommen. Diejenigen, die sich zu „Verdorbenen“ entwickeln, fliehen in die grünen Nebel, werden gejagt und eingesperrt.
In der Kurstadt selbst sterben kurz hintereinander mehrere junge Frauen aus unbekannten Gründen, es gibt Geburten mit unerwarteten Nebenwirkungen, die vertuscht werden, um unangenehme Fragen zu verhindern.
Fräulein Annabelle Rosenherz, die Tochter eines renommierten Archäologen und Gelehrten, beginnt sich Fragen zu stellen, als sie während ihrer Arbeit im pathologischen Institut mit den Toten in Berührung kommt. Sie ist sich sicher, dass die Mädchen nicht ohne Grund gestorben sind.
Allerdings hat sie eigene Probleme und Sorgen, denn ihr Vater ist seit geraumer Zeit verschwunden und man bedrängt sie, dass sie ihn doch für tot erklären soll. Allerdings ist die junge Frau nicht bereit dazu, die Hoffnung aufzugeben und sich in eine Zukunft zu begeben, in der sie der Willkür eines Fremden ausgeliefert ist, sei es nun Vormund oder Ehemann.
Schon bald verketten sich diese beiden Teile ihres Lebens mehr als ihr lieb ist und sie kommt einem Geheimnis auf die Spur, dass auch sie gefährden kann, denn sie selbst verbirgt ebenfalls einiges vor der Welt.
„Aetherherz“ ist einer der Romane, bei denen alles stimmt – das Ambiente, die Spannung und die Figuren bilden eine Einheit, sind Teile, die sich gegenseitig beeinflussen und weiterentwickeln. Die Autorin fängt zunächst geschickt die Stimmung und das Lebensgefühl der „Belle Epoque“ ein, verschweigt nicht, wie viele Schwierigkeiten gerade die Frauen in dieser Zeit haben, wenn sie aus den Konventionen ausbrechen und sich mit Heirat, Kindern und Haushalt zufrieden geben wollen, oder wie sich alter Erb- und neuer Geldadel gegenüber den anderen Schichten verhalten.
Dazu bindet sie glaubwürdig und überhaupt nicht übertrieben die übernatürlichen und Steampunk-Elemente ein. Der Hintergrund wirkt dadurch realistisch und nachvollziehbar, atment aber auch das Ambiente der Zeit.
Dazu kommen Charaktere, die zwar einerseits sehr modern in ihrer Denkweise sind, aber sich dennoch angemessen in ihre Lebenswelt einfügen. Annabelle ist selbstbewusst und klug, eine Frau, die auf eigenen Füßen steht und die Regeln der Gesellschaft zwar achtet, aber auch für sich auszulegen versucht. An ihrer Seite steht mit Paul ein verständnisvoller junger Mann, der auch anders als viele Geschlechtsgenossen denkt und bereit ist, andere Wege zu gehen.
Diese beiden sind die zentralen Figuren in einem Verwirrspiel um Macht und Geltungsbedürfnis, dem Missbrauch von Aether für selbstsüchtige Zwecke, Mord und Magie. Was mit der Vertuschung einer Geburt beginnt, endet in einer weitreichenden Verschwörung, die viele in den Abgrund stürzen könnte, und Täter- wie Opferrollen mehrfach vertauscht.
Die Geschichte ist spannend aufgebaut, bietet mehrere Wendungen, mit denen man nicht gerechnet hat und lässt bis zum Ende offen, wie alles ausgeht. Am Ende ist man durchaus zufrieden, hätte aber auch Lust, mehr Abenteuer von Annabelle und Paul mitzuerleben.
„Aetherherz“ bietet damit eine gelungene Mischung aus Abenteuer und Spannung, Ambiente und Mystery, die von Anfang bis Ende kurzweilig bleibt und immer wieder mit neuen Überraschungen aufwartet. Er ist ein Steampunk-Roman, der seinen Namen verdient und zu den besten Werken aus deutscher Feder gehört, weil er alles beinhaltet, was man braucht und das auch noch ansprechend präsentiert: Action, Geheimnisse und einen gewissen Schuss Romantik.