Titel: Äon Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Die Welt ist brutal, grausam, gemein und ungerecht, um einmal die positiven Seiten aufzuführen. Andreas Brandhorst erzählt uns in seinem neuen Buch "Äon" genau das und auch warum. Daran Schuld ist ein italienischer Junge. Raffaele aus Kalbrien gilt als Wunderheiler. Das spricht sich schnell herum, vor allem bei den "gut betuchten" Menschen. Andererseits wird die Presse natürlich darauf aufmerksam. Sebastian Vogler wird von seinem Chef nach Italien geschickt, damit er über den Jungen eine Reportage anfertigt. Der Journalist Sebastian hat die besten Voraussetzungen dafür, denn er ist kein Leichtgläubiger im Zusammenhang mit Wundern und immer etwas nachdenklich. Da, wo andere schon mal ein Auge zudrücken, setzt bei ihm die Nachforschungsarbeit an. Trotzdem muss er anerkennen, dass der junge Raffaele in der Lage ist, Menschen von ihren Krankheiten zu heilen. Sogar die katholische Kirche ist sich sicher, dass Raffaele von Gott gesandt wurde, um die Menschen zu heilen und von allem Übel zu reinigen. Deshalb ist die Kirche bereit, ein großes Wallfahrtszentrum in der Gemeinde Drisianos zu bauen.
Den eigentlichen Anfang bildet jedoch eine rätselhafte Reihe von Selbstmorden. Einziges verbindendes Element stellt ein Besuch bei Raffaele innerhalb des letzten Jahres dar. Die unbescholtenen Bürger, finanziell abgesichert, hätten nach ihrer Heilung noch lange, sehr lange, weiterleben können. Stattdessen begehen sie Selbstmord, indem sie sich mit Flugzeug oder Automobil, durch eigene Hand oder durch Sprengstoff das Leben nehmen. Es ist immer auch irgendwie, sagen wir, spektakulär. Andererseits bestehen scheinbar Verbindungen zu anderen Phänomenen. Sebastian Vogler macht sich auf die Suche, reist quer durch Europa, um Spuren zu finden - nur dass man ihn bereits gefunden hat. Er ist einer Verschwörung auf der Spur, die das Leben auf der Erde verändern könnte.
Sebastian Vogler hat aber noch ein anderes Problem. Knall auf Fall wird ihm ein Gehirntumor diagnostiziert. Was liegt für ihn also näher, als zu Raffaele zu reisen? Als überzeugter Atheist hat er ein Problem mit der erfolgreichen Behandlung. Gott kann es ja nicht gewesen sein. Er glaubt ja nicht an ihn. Bleiben also die rätselhaften Fähigkeiten des Jungen. Die zweite Frage, die er sich stellt, ist: Wird er nun zu einer Gefahr für seine Mitmenschen? Wird er ebenfalls Selbstmord begehen?
Kurz nach seiner Genesung kommt es über ihn. Er hat Visionen, die auf den Kinderkreuzzug zurückgehen, Visionen, in denen er andere Menschen umbringt und ähnlich Schreckliches mehr. Endlich reagieren die Gesetzgeber und auch die katholische Kirche. Raffaele wird von anderen Menschen isoliert. Sebastian hingegen macht sich auf den Weg, andere Infizierte zu finden.
Andreas Brandhorst gelingt es, mit in der letzten Zeit beliebten Vorstellungen einen eigenständigen, fesselnden Roman abzuliefern. Bei ihm geht es nicht um die Kirche und dunkle Geheimnisse ihres Aushängeschildes Jesus, sondern er geht noch viel weiter zurück in die Vergangenheit. Gilgamesch heißt das Epos, auf dem alles, was in "Äon" geschieht, beruht. Andreas Brandhorst ist ein vielseitiger Autor. Seine ersten Schreibversuche machte er im Club AGSF, die ein Spiritusumdruckmagazin namens Time-Gladiator herausbrachten. Seither hat er an Gemeinschaftsprojekten wie der Heftserie "Terranauten" mitgeschrieben, brachte bei Bastei seine Taschenbücher heraus und arbeitete vornehmlich als Übersetzer. Seit einigen Jahren gelingt es ihm, seine phantastischen Werke beim Wilhelm Heyne Verlag zu veröffentlichen.
Mit seinem neuen Roman greift er ein ganz anderes Thema auf, als seine SF-Bücher bislang vorgaben. Mir persönlich gefällt die Suche von Sebastian nach sich selbst, seinem Grund für die Verwandlung, die er durchmacht.