Titel: Abyssus. Der Abgrund Hier geht es zum begleitenden Artikel "Von der Idee zum Buch" Eine Besprechung / Rezension von Erik Schreiber |
Der Beginn des Romans ist unspektakulär, genau wie der Handlungsträger. Unsportlich und unscheinbar, wie er ist, hat man ihn schnell wieder vergessen. Alan Osborne ist Informationstechniker und dabei, eine künstliche Intelligenz, umgangssprachlich KI genannt, zu entwickeln. Sein außergewöhnlicher, ja brillanter Verstand und seine Fähigkeiten als Computergenie machen ihn einzigartig. Allerdings ist er ein Zivilisationstrottel und kann im Umgang mit anderen Menschen eher dämlich dastehen. Daher kann Osborne gerade noch so seinen Rauswurf verhindern und damit auch die Schließung seiner Abteilung. Jahre später hat er sich einen guten Ruf erarbeitet und eine KI fertiggestellt. Der Durchbruch scheint geschafft. Er ist einer jener unscheinbaren Menschen, die mit ihren Ideen und ihrer Arbeit das Antlitz der Welt verändern könnten. Die KI soll auf einer IT-Messe in Paris vorgestellt werden. Dummerweise fällt das Programm aus. Alan Osborne soll sofort nach Frankreich fliegen und sein Programm zum Laufen bringen, in vierundzwanzig Stunden ist eine Pressekonferenz angesetzt.
Alan Osborne muss nach Paris über den John F. Kennedy Flughafen mit dem Transatlantikflug direkt nach Orly. Wegen Verspätung sitzt er auf dem Flughafen, vor allem der Toilette, fest. Ein Kampf mit einer Kakerlake rettet ihm das Leben, als ein anderer Mann in der Toilette umgebracht wird. Völlig verstört und unter Verfolgungswahn leidend, gelangt er an Bord des Flugzeugs und unbeschadet nach Paris. Der Anfang der Erzählung ist nur der Auftakt einer spannungsgeladenen Geschichte. Und wenn Alan Osborne gewusst hätte, was ihn erwartet, er hätte sich in seinem New Yorker Büro verbarrikadiert.
In Paris trifft er im Hotel seine Kakerlake wieder. Am nächsten Morgen verschläft er und kommt zu spät zur IT-Messe. Nachdem er sein eigenes Programm nicht unter Kontrolle bekommt, wird er von der Niederlassungsleiterin geschasst.
Dennoch sucht ihn die Niederlassungsleiterin auf, nur um ihm mitzuteilen, dass er keinen Fehler gemacht hat, sondern dass ein Sabotageakt dahinter steckt. Osborne kann Françoise Fabian überreden, ihn zu einem Treffen mit ihrer Informantin mitzunehmen. Es stellt sich nicht nur heraus, dass er die Informantin bereits kannte, sondern sie mit einer Hexe eine Wohnung teilt. Zudem war sie diejenige, die die Auftragskiller bestellte.
Der Computerspezialist gerät von einer Welt der Bits und Bytes in eine Welt der schwarzen Magie. Eine Welt, in der Hexen leben, ihn verfluchen und Auftragskiller auf ihn hetzten. Er hält alles zuerst für Scharlatanerie, denn ein rational denkender Verstand kann so etwas nur für Spinnerei halten. Der Gedanke an Scharlatanerie geht jedoch schnell verloren, als er erkennt, dass die Welt untergehen wird. Sein physikalisches Weltverständnis trifft auf alte religiöse Untergangprophezeiungen. Nicht ganz freiwillig macht sich der Held, der einer kleinen persönlichen Weiterentwicklung unterliegt, auf die Suche nach dem alten Buch, das einst ein Templer mit nach Paris brachte. Er bleibt auf der Suche nach einer Hexensippe nicht lange allein. Man hilft ihm auf der Suche nach den Hexen, die den Abyssus, den Weltuntergang, schließlich aus seiner Verbannung befreien. Die Untergangsprophezeiungen sind gar nicht sonderlich weit entfernt in dem, was sie vorhersagen. Der Abyssus, Namensgeber des Buches, tritt in der Pariser Unterwelt auf und verschlingt langsam aber sicher die Welt. Stückchenweise löscht er jede Form der Materie aus und mit jedem Stück wird er größer und gefräßiger. Ob man den Kampf zwischen Materie und Anti-Materie oder von Diesseits und Jenseits bezeichnet, bleibt dabei gleich. Das Ergebnis ist das gleiche. Ist dies der Tag des jüngsten Gerichts?
„Abyssus“ ist ein Mystery-Thriller, zumindest steht es auf dem Titel. Wer sich jedoch die Mühe macht und das Buch liest wird feststellen, dass es weit mehr ist als nur ein einfacher Mystery-Thriller. Alan Osborne als Wissenschaftler wird in eine Welt geschickt, die so anscheinend nur im alten Europa bestehen kann. Peter Mennigen beschreibt den Wissenschaftler als einen Menschen, der sich in das normale soziale Verhalten nicht einfügen kann. Wie geht es ihm dann erst, wenn er sich mit der Mystik des alten Europa auseinandersetzen muss? Nur eins ist sicher: Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als er je gedacht hat. „Abyssus“ kommt in den ersten Kapiteln daher wie der Mystery-Thriller eines Dan Brown; der Leser gelangt aber schnell zur Einsicht, dass Menningen besser ist. Sein Buch ist ein ungewöhnlicher Mix aus einem dramatischen Wissenschaftsthriller, einem spannenden Akte-X-Roman und einigen anderen, mal ruhigeren und nachdenklicheren Teilen. Die ungewöhnliche Mischung, die spannende Erzählweise, manchmal zu sehr in Einzelheiten verliebt und langatmig, wird jedoch nie langweilig. Andere werden sich eine Straffung der Kapitel wünschen, manche Diskussion als überflüssig ansehen. Ich persönlich bin der Meinung, gerade das macht den Roman aus. Peter Mennigen erzählt gern und ausführlich und ich fand keine Seite überflüssig.
Die Leserschaft, in meinen Augen eher eine zu kleine Leserschaft, begleitet den Haupthelden Alan Osborne durch eine vielschichtige Erzählung, die der Autor überraschenderweise immer wieder ändert. Unberechenbar wäre der beste Ausdruck, denn der Ausgang der Geschichte ist nicht geradlinig vorhersehbar. Wenn man der Meinung ist, endlich zu wissen wie der berühmte Hase läuft, dann hat man sich gleich darauf wieder geirrt.
Es fällt mir nicht leicht, die Erzählung zu beschreiben oder gar in einer Buchbesprechung entsprechend zu würdigen. Vieles klingt verworren und mir fällt die Aufgabe zu, etwas über die Handlung zu erzählen, ohne etwas zu verraten. Die Geschichte ist weitaus besser gegliedert als meine kurze An-Erzählung, denn mit jedem Satz fällt mir noch etwas ein, was zu erwähnen wäre. Seien es die unterschiedlichen Stilrichtungen, die komplexen Figuren, die sich im Buch tummeln, Hinweise und Personen der Wirklichkeit etc. etc. etc. Auch wenn manche Kapitel als losgelöst betrachtet werden könnten - sie finden nach und nach zusammen. Nichts ist in der Erzählung überflüssig. Ich denke mal, das Buch ist ein Kandidat für den nächsten Buchmessecon, wenn wieder der Deutsche Phantastik Preis vergeben wird.