Titel/Originaltitel: 42 Eine Besprechung / Rezension von Andreas Nordiek |
Mit seinem Roman schaffte es Thomas Lehr, in die Endrunde für die Nominierung zum Deutschen Buchpreis zu gelangen, und dies mit einem Science-Fiction-Roman. Natürlich wird "42" nicht als solcher beworben. Auf dem Backcover findet sich die Bezeichnung "philosophischer Abenteuerroman", und dies dürfte wohl dem Anspruch des Autors an sein Werk gerechter werden.
Innerhalb des SF-Fandoms wurde dieser Roman zumindest wahrgenommen, aber anscheinend kaum gelesen, wenn man den Diskussionen auf einigen SF-Internetseiten folgt. Hier steht eher der Titel im Vordergrund, der natürlich die Antwort auf alle Fragen ist, jedenfalls wenn man Douglas Adams glauben will.
Thomas Lehr führt seine Leser aber nicht in die Weiten der Milchstraße, sondern in die Einsamkeit der Zeitlosigkeit. Zentrum des Romans ist die Stadt Genf, in deren unmittelbarer Nähe die Anlagen des Kernforschungszentrums CERN liegen. Als eines Tages eine siebzigköpfige Gruppe von Wissenschaftlern, Diplomaten und Journalisten aus der Erdtiefe wieder zur Oberfläche heraufsteigt, finden sie eine Welt wieder, die genau um 12 Uhr 47 Minuten und 42 Sekunden erstarrt ist.
Wohl jeder hierzulande dürfte das Märchen Dornröschen und evtl. sogar einen der hierüber gedrehten Filme kennen. Genauso muss man sich die Welt vorstellen, in der sich die siebzig Menschen wiederfinden. Alles ist völlig erstarrt, nur sie scheinen von einer Blase umgeben zu sein, in der die Zeit wie gewohnt verläuft. So können sie Nahrung aufnehmen, indem sie diese in Restaurants Gästen einfach vom Teller stehlen, ebenso wie Getränke. Toiletten hingegen funktionieren lediglich einmal, da kein Wasser mehr nachfließt, und ansonsten erleben diese Menschen eine Welt bar jeder Technik.
Sie sind völlig auf sich allein gestellt und müssen sich selbst helfen. Es gibt keinen Zahnarzt mehr, zu dem sie gehen können; schwere Verletzungen oder Krankheiten können den Tod bedeuten. Immerhin ist es ein schöner, sonnenreicher und warmer Tag gewesen, in dem sie sich wiederfinden.
Die Menschen leiden nicht an materieller Not. All diese Bedürfnisse können sie nun befriedigen, indem sie in den teuersten Restaurants essen gehen, in den besten Hotels nächtigen und sich die schönsten und außergewöhnlichsten Kleidungsstücke anlegen. Aber recht schnell folgt diesem materiellen Reichtum eine innere Leere, die einfach nicht zu füllen ist. So unterteilt der Autor sein Werk auch in verschiedene Kapitel, die gleichsam Phasen ihrer neuen Existenz darstellen. Im Einzelnen sind dies Schock, Orientierung, Missbrauch, Depression und Fanatismus.
Die Stärke des Romans ist aber nicht nur in der Idee an sich zu suchen, sondern vor allem in der schriftstellerischen Umsetzung derselben. Thomas Lehr benutzt kaum die wörtliche Rede und erzählt die Geschichte aus der Sicht einer einzigen Figur, die gleichsam für alle anderen steht. Dieser Journalist stellt so etwas wie den Durchschnitt der noch 'lebenden' Menschen dar. Seine Aktionen sind bei weitem nicht so sexuell pervers (hier bietet der Roman so einiges) und fanatisch wie die anderer 'Mitgefangener'.
Dabei ist der Stil sehr distanziert und von der Wortwahl mehr umschreibend als konkret benennend. Wo ein anderer Autor viel intensiver seinen Blick drauf gerichtet hätte und sehr ausführlich jede Kleinigkeit direkt beschrieben hätte, sucht Thomas Lehr bewusst eine andere Wortwahl, die ein wenig verschleiernd wirkt.
Auf diesen Schriftstil muss man sich einlassen können, er ist nicht immer einfach zu lesen, sondern erfordert zumeist die volle Konzentration des Lesers. Allein dadurch hebt dieser Roman sich deutlich gegenüber den Phantastikwerken, wie wir sie gewohnt sind, ab.
Völlig zurecht wurde "42" für den Deutschen Buchpreis nominiert und sollte innerhalb der Phantastikszene eine vergleichbare Beachtung finden.